Somniferus
zusammen und steckte ihn in die Innentasche
meiner Windjacke. »Also ein Buch«, sagte ich zu Harder. Er
nickte. Demnach wusste er Bescheid. »Wenn ich Ihnen dieses Buch
bringe, bekomme ich mein Geld zurück?«
Harder sagte nichts darauf. Das machte mich stutzig.
»Und was ist, wenn ich mich weigere, das Buch zu
beschaffen?«
»Dann werden Sie das Geld nicht zurückerhalten und ich
befürchte, dass Sie in diesem Fall auch das Haus Ihres Onkels
verlassen müssen.«
Auch das noch. Das hatte der alte Knabe ja ganz schön schlau
eingefädelt. Den Andeutungen in seinem Brief zufolge würde
es nicht einfach sein, an das Buch heranzukommen; es hörte sich
so an, als erwarte Onkel Jakob einen Diebstahl von mir. Sollte ich
wirklich eine Straftat mit dem Risiko einer Verurteilung begehen?
Andererseits stand eine halbe Million Euro auf dem Spiel. Dennoch:
Ich war noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten und mein gutes
Gewissen war mir mehr wert als alles Geld der Welt. Und noch etwas
störte mich an der ganzen Sache.
»Warum will mein Onkel, dass ich Ihnen dieses Buch bringe? Er
ist tot und hat keine Verwendung mehr dafür. Was würden Sie
mit dem Buch anstellen, wenn Sie es hätten?«
Harder druckste herum. »Darauf kann ich Ihnen keine direkte
Antwort geben. Ich habe meine Anweisungen.«
»Was ist so besonders an diesem Buch – mit Ausnahme der
Tatsache, dass es nur noch in einem bekannten Exemplar
existiert?«
»Ich weiß es wirklich nicht, das müssen Sie mir
glauben.«
»Onkel Jakob hat von dem Besitz dieses Buches nichts mehr;
warum war er also dermaßen heiß darauf, dass er vor
seinem Freitod diese schräge Komödie hier inszeniert
hat?«
»Mir ist das Ganze genauso ein Rätsel wie Ihnen. Ich
habe nur zugestimmt, den Anweisungen Ihres Herrn Onkel zu folgen,
weil ich Jakob Weiler mochte. Natürlich, er hatte einen
schwierigen Charakter und es gab viele Geheimnisse in seinem Leben,
über die er manchmal dunkle Andeutungen gemacht hat, aber er war
auch irgendwie eine tragische Figur. Er hat es immer sehr bedauert,
dass er von seiner Familie geschnitten wurde.«
»Das hat er sich ausschließlich selbst zuzuschreiben.
Wenn er etwas umgänglicher und nicht so zynisch gewesen
wäre…«
Harder schnitt mir das Wort ab. »Das ist alles vorbei. Jetzt
geht es nur noch um eine einzige Frage: Werden Sie versuchen, dieses
Buch zu beschaffen oder nicht?«
Ich überlegte. Noch immer war ich nicht bereit, eine Straftat
dafür zu begehen. Doch vielleicht konnte ich ja mit Adolphi
reden und ihm die ganze verworrene Angelegenheit erklären.
Vielleicht konnte ich das Buch kaufen – mit dem Geld, das mir
dann wieder gehören würde. Es war zumindest einen Versuch
wert. Ich muss gestehen, dass das viele Geld und das Haus in
Manderscheid ein überwältigender Anreiz für mich
waren.
»Also gut, ich will es versuchen.«
Diese Entscheidung sollte ich bald bitter bereuen.
5. Kapitel
Am Samstagmorgen hatte ich starke Halsschmerzen und die ersten
Niesanfälle. Der gestrige Marsch durch den Regen war doch zuviel
für mich gewesen. Wenigstens hatte mir Harder noch etwas Geld
für den Bus zurück nach Manderscheid gegeben, sodass ich
schließlich hungrig und müde am Abend wieder dort
angekommen war. Zwei Scheiben trockenes Brot waren mein ganzes
Abendessen gewesen. Als ich am Morgen meine Windjacke, die ich am
vergangenen Abend achtlos über einen Stuhl geworfen hatte, an
die Garderobe in der Diele hängte, bemerkte ich, dass in einer
ihrer Außentaschen ein Fünfzig-Euro-Schein steckte.
Offenbar hatte Harder ihn heimlich dort deponiert – damit ich
nicht ganz vor die Hunde ging. Ich fing an, diesen verschlossenen
Mann zu mögen, auch wenn ich aus ihm ebenso wenig schlau wurde
wie aus Onkel Jakob.
Am Vormittag machte ich mich auf den Weg zu Friedrich Adolphi. Er
wohnte in einem großen, freistehenden Jugendstilhaus an der
Dauner Straße, das von einer parkähnlichen Gartenanlage
umgeben war. Als ich vor dem Gebäude stand und es betrachtete,
schwand der letzte Rest an Zuversicht, den ich noch gehegt hatte. Es
war überdeutlich zu sehen, dass hier ein reicher Mann wohnte,
der es nicht nötig haben würde, mich auch nur
anzuhören. Das Haus strahlte eine vornehme
Zurückgezogenheit aus und wirkte trotz seiner hellen, frischen
Farbe abweisend. Ich räusperte mich und versuchte vergeblich,
den Frosch aus meinem Hals zu vertreiben. Meine Stirn brannte.
Sicherlich hatte ich Fieber; zumindest fühlte ich mich so. Ich
war
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