Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
Konzentration stören.
»Maunz?«
»Ich bin da. Hab keine Angst.« Er schlug das Buch auf und las, wie man Steine in Sonnen verwandelte. Das ist doch nicht so schwer, dachte er, kramte einen handtellergroßen Stein unter dem Regal hervor und legte ihn in der Mitte des Bretterbodens ab. Tarabas verrückte die anderen beiden Baumstümpfe, die vor dem Strohbett als Sitzplatz dienten, damit er genügend Platz zum Üben hatte, dann sprach er: »Schveto! Ketzu!«
Ein kaum spürbares Zittern ging durch das Baumhaus, als der Stein zu ruckeln begann. Er erhob sich und blieb schwebend in der Luft stehen. Tarabas atmete kräftig durch. Er musste sich konzentrieren für die nächste, weitaus schwierigere Aufgabe.
»Maunz?«
»Schscht, Sini!« Tarabas vergegenwärtigte sich den Augenblick, vielleicht würde er gleich Großes schaffen. Noch einmal vollste Konzentration, dann: »Sonatzie! Tiriquenti! Girdiline!«
Nebel umhüllte den Stein, Staubpartikel lösten sich. Tarabas musste husten. Da schimmerte etwas Gelbes durch das Gewölk.
»Was machst du da?« Das war Vincent. Er hatte ihn mal wieder nicht kommen hören.
Tarabas war erfreut, dass jemand seine Meisterleistung bezeugen konnte.
»Komm her! Schnell! Ich verwandle den Stein in eine Sonne.«
Sie sahen zu, wie der Nebel sich mehr und mehr verflüchtigte. Die vermeintliche Sonne schien eine ovale Form zu haben und als sie ausdrehte, kam eine Zitrone zum Vorschein. Tarabas kratzte sich am Kinnbart.
»Sieht aus wie eine Zitrone«, sagte der Haarige und kassierte einen Knuff in die Seite. Tarabas packte die Zitrone.
»Verbrenn dir nicht die Finger. Solche Sonnen sind immer extrem heiß«, sagte Vincent lächelnd und schlenderte zu dem Regal mit Fumès Büchern.
Lag es an der Zauberformel? Stand ich im falschen Winkel zum Stein?
Tarabas grübelte, was schiefgelaufen war. Wenigstens stimmte die Farbe. »Wie lief es denn bei dir?«
»Ging so.« Vincent strich über die Lettern der Bücher. »Sehen aus wie Adern.« Er zog das Buch mit den tausend Zauberstücken heraus und setzte sich auf einen der Baumstümpfe.
»Ging so?«
»Maunz!«
Tarabas wollte die Zitrone aus dem Fenster schleudern, doch er traf nur den Rahmen, worauf sie auf Sinibaldo fiel und dann vor dem Baumstumpf zum Liegen kam.
»Haben uns mit Holzschwertern geschlagen. Morgen geht’s dann aber richtig zur Sache.« Vincent deutete auf einen Artikel in dem Buch. »,Den Schatten nutzen, um sich fortzuzaubern’ – das kann doch niemand.«
»Pass auf.« Tarabas trat zurück bis an die Wand und ziepte an einer dunklen Stelle seiner Schulter. Langsam löste er den Schatten vom Körper, bis er ihn wie ein großes, schwarzes Tuch vor sich halten konnte. Er schüttelte den Staub aus dem Schatten, dann warf er ihn um sich, worauf Tarabas zusammenfiel und sich auflöste.
Ungläubig starrte Vincent auf die Stelle, an der Tarabas eben noch gestanden hatte.
»Hier bin ich!« Er winkte von der anderen Seite des Baumhauses, der Maulwurf lag neben ihm.
Vincent war vor Schreck das Buch aus der Hand geflogen. »Nicht schlecht. Nicht schlecht.«
Flügelschläge waren zu hören. Tarabas zog das Schweineleder beiseite und blickte aus dem Fenster. Ein Schatten huschte vorüber, dann sah er einen Drachen, der sich am abendroten Himmel über das Lager schwang. Er war sicher auf dem langen Weg über Abandonien hinweg zum Gletscherberg. Welche missratenen Kreaturen er von da oben wohl zu sehen bekam, überlegte Tarabas und erinnerte sich an das Gemunkel, dass der Drache auf dem Gletscherberg seine große Liebe gefunden hatte: eine in einem vereisten Wasserfall lebende Eisprinzessin. Er lauschte den Flügelschwingen nach und fragte sich, ob einem Drachen beim Pupsen Feuer aus dem Hintern entwich. Für eine im Eis lebende Eisprinzessin könnte das tödlich enden.
Vincent tippte auf eine andere Stelle im Buch. »Hier steht, wie man Gemäldefiguren zum Leben erwecken kann.«
»Gemäldefiguren?« Das musste Tarabas selbst lesen.
Er las und tatsächlich, da stand, wie er Großvater zum Sprechen bringen könnte. Der Hinweis, dass die Figur im Gemälde durch jede Bewegung mit Auflösungserscheinungen zu kämpfen hatte, ignorierte Tarabas.
»Du willst das doch jetzt nicht probieren?«
»Warum nicht?« Tarabas trat so nah an das Strohbett, dass er mit den Zehen das Gestell berührte, und konzentrierte sich auf den Zauberspruch.
Vincent beobachtete gespannt die Versuche, den Großvater zum Sprechen zu bringen.
»Ewaccte!
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