Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
gelesen hatte? Er legte eine Hand auf seinen Bauch und fühlte die Wärme, die sich darin ausbreitete. Mit einem Lächeln stellte er fest, dass er ein klein wenig besessen war von Alena und den Gefühlen, die sie hervorrief.
Ein Junge stand auf dem Steg und zielte mit Brotstücken auf die Köpfe der Erpel. Er grunzte, wenn er einen traf. An den halb gefluteten Büschen kräuselte sich die Gischt und in der Mitte des Flusses ragte ein Felsen haifischflossengleich heraus.
Martin betrachtete die Schwielen und Risse an seinen Händen. Gut zupacken konnte er, aber schön schreiben? Den Brief mit Parfüm zu bestäuben, das war eine geniale Idee gewesen.
Er zog sich am Geländer hoch, klopfte Erde von der Hose und tastete erneut nach den Kronen. Blumen würde er ihr kaufen. Oder noch besser: ein Plüschtier. Das war die Idee! Dieser zusammengeflickte Stoffmond hatte ohnehin ausgedient.
Und mit dem restlichen Geld lade ich sie zum Frühstücken ein, morgen, dachte er und hatte die urige Gastwirtschaft im Sinn, unweit des Parks.
In dem Geschäft mit der blauen Tür, gleich an der Hauptstraße, besorgte er sich einen besonders flauschigen Teddybären. Mit dem trat er durch das schmiedeeiserne Eingangstor in die Parkanlage. Hier, an der Stätte seines Glücks, würde er sich ein wenig die Zeit vertreiben. Sonnenstrahlen kämpften sich durch die Baumwipfel und zeichneten kunstvolle Schattenbilder auf die Wiese. Ein Mädchen lief, so schnell es konnte, und ließ einen Drachen steigen. Den Blick abwechselnd nach vorn und nach oben gerichtet. »Mama! Sieh nur!«
Ein älterer Herr mit Dackel grüßte eine Mutter, die ihren Kinder¬wagen schob, und schlurfte gemächlich seines Weges.
Martin sah auf der Bank, mit der er sein Glück verband, ein Pärchen sitzen, ein wenig von der Erle verdeckt. Er freute sich mit ihnen und sehnte Alena herbei. Was sie wohl für ihn empfand?
Als er mit gesenktem Blick durch das Gras schlenderte, dachte er über seine erste große Liebe nach.
Mit Karolina hatte er schon im Sandkasten gespielt, sie war seine Cousine. Dass es mehr war als Freundschaft, spürte er in der Schule, als er sie beim Flirten mit einem Jungen beobachtete. Er packte sie am Arm und zog sie weg, konnte aber ihr und sich seine Reaktion nicht erklären. Martin fiel ein, dass er ihr daraufhin einen Brief geschrieben hatte. Nur bekam sie ihn nie zu lesen. Das Schreiben steckte in seiner Mantelta¬sche, als sie sich nachts in der Scheune trafen, dort wo der große Trak¬tor abgestellt war, gleich neben seinem Elternhaus. Er ging aufs Ganze, drückte sie gegen einen Balken und schob ihren Rock hoch. Er dachte, dass sie es auch wollte. Sie sprach laut auf ihn ein, wollte ihn zurück-drängen, doch er ließ nicht von ihr ab. Dann schlug die Scheunentür gegen den Traktorreifen. Sein Vater trat ein, mit zerzaustem Haar und im Schlafanzug. Er ging auf ihn los und ohrfeigte ihn kräftig. Martin musste sich wehren, auch, um vor Karolina sein Gesicht zu wahren. Wenige Momente später lag Vater im Stroh, der Ohnmacht nahe. Eine Heugabel steckte in seinem Oberschenkel. Die Schlafanzughose saugte sich mit Blut voll, das bald auf die Halme tropfte. Nach dieser Nacht war das Verhältnis zu seinen Eltern und Karolina massiv gestört. Martin kehrte seinem Heimatdorf den Rücken, noch bevor der Vater aus dem Krankenhaus entlassen wurde, und zog bei seiner Tante ein.
Vielleicht sollte er den Kontakt wieder aufnehmen? Mit Alena an sei¬ner Seite konnte er nicht nur mit sich und seinem Leben Frieden schließen.
Er betrachtete den Teddy.
»Na? Was willst du mir erzählen?« In den dunklen Knopfaugen bemerkte Martin eine Traurigkeit, die ihn nachdenklich stimmte. Ihm war, als hätte der Teddy seine Gedanken mit angehört. Als fühlte er mit ihm.
»Mit Alena wird alles besser! Du wirst sehen, dass ich mit ihr glücklich werde«, versprach er dem Teddy und wäre fast über einen dicken Ast gestolpert.
»Ich bringe sie fort von hier. Vielleicht gründe ich einen Bauernhof oder lege eine Plantage an. Was hältst du davon? Und ich würde ackern wie ein Pferd.«
Er hatte den Duft frischer Erde in der Nase und sah Alena vor sich, wie sie in einem Feld sonnengereiften Korns Pirouetten drehte.
»Glaub mir, Teddy, sie wird es gut haben bei mir.«
Er war dem Pärchen so nahe gekommen, dass er hören konnte, wie sie sich küssten. Langsam ließ er den Teddy sinken und sah zu den beiden hinüber. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Alena, die auf dem
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