Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
bis sie ein dumpfes Geräusch hochschrecken ließ.
Die Türklinke!, war ihr erster Gedanke.
Sie tastete nach dem Stoffmond, während sie die Tür nicht aus den Augen ließ, die in der Morgendämmerung gut zu erkennen war. Nur langsam ließ die Anspannung nach. Sie realisierte, dass es nicht so war wie damals. Jenes Geräusch war aus einer anderen Richtung gekommen, vom Fenster her. Etwas musste dagegengeschlagen haben.
Ich muss nachsehen, dachte sie entschlossen.
Sie öffnete einen Fensterflügel, Morgenkühle drang ein. Sie rieb die Arme warm und beugte sich langsam über das Fenstersims. In der Ferne verstummten die Schreie eines Vogels. Die Fenster der umliegen¬den Häuser waren ohne Licht, keine Menschenseele war zu sehen. Sie lehnte den Kopf an den Holzrahmen. Da entdeckte sie eine graue Feder, die in einer Ritze klemmte. Alena nahm sie an sich, strich über den weichen Flaum und pustete sie nach einer Weile fort. Die Feder tänzelte im Wind und war im diffusen Licht bald nicht mehr zu sehen.
Mir geht’s wie dieser Feder: Vom Schicksal nutzlos umhergewirbelt …
***
Während Alena am Fenstersims lehnte, ohne einen rechten Sinn in ihrem Dasein ausmachen zu können, schrillte drei Straßen weiter der Wecker des Malers Ondrej, der die Wohnung seines Großvaters bezogen hatte. Er drückte den Alarm aus, ließ den Arm aus dem Bett hängen und kratzte mit dem Fingernagel am Korkboden. Er hoffte, mit diesem Geräusch die Müdigkeit zu vertrei¬ben, was ihm aber nicht gelang. Er mühte sich aus dem Bett und tappte schlaftrunken zwischen den Umzugskartons zum Fenster, öffnete es und hoffte, dass die Kühle ihn munter bekommen würde, wollte er doch heute mit dem Einzug fertig werden. Er sah hinüber zu dem Büro, das er gemietet und zu einem Atelier umgerüstet hatte. Das Licht einer Straßenlaterne reflektierte matt in der breiten Fensterfront. Auf dem Gehsteig spielte der Wind mit einem Ahornblatt, bis es am Hinterreifen eines parkenden Ladas hängen blieb.
Als Junge war er hier oft an der Hand seiner Mutter entlangspaziert. Drei Häuser weiter in einem Antiquitätengeschäft hatte sie als leiden-schaftliche Sammlerin so manche Rarität erstanden. Porzellanpuppen, gestickte Kissen, auch handgearbeitete Stofffiguren.
Neben dem Atelier hing ein übergroßes Plakat, auf dem die Raiffei-senbank mit einer älteren Frau warb, die in einer Hängematte lag und sich von der Sonne bescheinen ließ. »Sorglos im Alter«, so der Slogan.
Ondrej dachte an seinen besten Freund und die Sache mit dem Skoda. Sie waren auf dieser Straße mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und Ondrej fuhr zu nah an dem Auto vorbei, sodass er den Lack an der Fahrerseite zerkratzte. Er war geschockt, doch sein Freund lachte nur und nahm es auf seine Kappe. Für seinen Vater war es kein Problem, den Schaden zu bezahlen. Natürlich bewunderte Ondrej ihn dafür, anfangs. Nach und nach meldete er aber Bedenken an. Dem Freund wurde ein Auto bezahlt, eine Wohnung, die kleinen Dinge ohnehin.
Sie diskutierten hitzig, wenn Ondrej darauf zu sprechen kam. Es verfälscht den Charakter, man verliert den eigenen Weg aus den Augen, findet nicht zu sich – das waren seine Argumente, doch jener Freund ließ nicht mit sich reden, war nicht bereit, sich sein bequemes Leben zu erarbeiten und hatte Ondrej Neid unterstellt.
Der Wind frischte auf, eine Feder schaukelte am Fenster vorüber.
»Das ist es!« Ondrej fühlte sich inspiriert zu einem Bild, das für seine Gedanken sprechen könnte.
Er stieg aus dem Fenster und ging barfuß der Feder nach, die gegen das Plakat wehte. Sie war zu etwas anderem bestimmt, als unbeachtet unter vielen den Flügel eines Vogels zu schmücken.
Da stand er nun in der Morgendämmerung, in Boxershorts, Unter¬hemd und mit einer grauen Feder in der Hand und entschloss sich, das Auspacken zu verschieben. Ein Bild wollte aus seinem Kopf aufs Papier gebannt werden.
Er machte die Umrisse eines Fahrradfahrers aus, am Ende der Straße. Der Zeitungsträger? Schnellen Schrittes hastete Ondrej zurück, stieg wieder durchs Fenster ein; man sollte ihn nicht unbedingt in Unter¬wäsche erwischen.
Die rot-schwarze Bettwäsche lag gebügelt und zusammengelegt neben dem Kopfkissen. Gestern hatte ihm die Lust gefehlt, Decke und Kissen zu beziehen. Ondrej ließ sich am Bettrand nieder und sah sich um. Originale von befreundeten Malern lehnten an den Wänden, Umzugs¬kartons verstellten das Zimmer. Auf dem Schreibtisch lagen Postkarten und
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