Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
nicht den prächtigen Ruf.
Mit dem Fund hatte er sein Selbst in den Schatten gestellt. Neid und Hass auf diesen Gennadij überwucherten seine eigentliche Bestimmung als König, die so nicht mehr zur Entfaltung kommen konnte und jämmerlich im Schattendasein zugrunde ging. Doch er war nicht bereit, sich von der Feder zu trennen. Zu sehr war er fasziniert und geblendet von deren Schönheit. Der Bergadler wurde alt und krank und streckte nur dann den Flügel mit der goldenen Feder aus dem Horst, wenn jemand gekommen war, um das Gemälde zu bewundern.«
Ondrej trat einige Schritte zurück und beäugte das Werk, zu dem er sich diese Geschichte ausgedacht hatte.
Das Bild zeigte ein Hochgebirge bei Nacht. An einem Felsvorsprung war ein alter Bergadler beheimatet. Das graue Gefieder war licht, die Brust kahl und der Schnabel verblasst. Geschwächt hielt er den Flügel aus dem Horst. Darin war eine goldene Feder verwachsen, die heller schimmerte als die Sterne über ihm. Tränen rannen aus den matten Adleraugen und benetzten sein Gefieder.
»Hm«, machte Ondrej und freute sich darauf, es seinem besten Freund vorzuführen. Ihm knurrte der Magen, manchen Künstlern ging bei der Arbeit jegliches Zeitgefühl verloren. Ein Blick auf die Arm¬banduhr. Es war fast halb drei, also packte er seine Sachen zusammen. Den verspäteten Mittagstisch hatte er sich wahrlich verdient.
***
Kein Mann ruft mich an, keiner will mit mir den Abend zerkuscheln.
Magdalena stützte sich an der Spüle ab und seufzte. Der Abfluss schlurfte den letzten Rest Wasser, Schaum knisterte. Noch abtrocknen, wegräumen – dann war sie fertig. Das Lernpensum für den heutigen Tag hatte sie wie die übrigen Arbeiten zur frühen Nachmittagszeit hinter sich gebracht. Eine aufgabenlose Leere breitete sich aus.
»Hey. Erika«, rief ein Mann vor dem Studentenheim, in der Wohnung nebenan kicherten Frauen, und als Magdalena den Cellospieler hörte, fühlte sie sich endgültig vom Leben ignoriert.
Sie stellte sich vor, dass in ihrem Zimmer ein Mann auf dem Bett saß und auf sie wartete. Magdalena stieß sich von der Arbeitsfläche ab und schaute im Zimmer nach. Keiner da. »War ja zu erwarten«, murmelte sie und fischte einen Lippenstift aus dem Kosmetiktäschchen.
Sie saß am Küchentisch, ihr gegenüber ein Kochtopf mit lächelndem Lippenstiftgesicht, und sie dachte an Alena, und wie diese am Früh-stückstisch von Vlado erzählt hatte, von der Karte mit den Liebes-beteuerungen, dem Kerzenscheinabend und seinen Plänen.
»Er will mich seinen Eltern vorstellen«, hatte Alena berichtet. »In München wohnen die. Freu mich schon darauf. Mal sehen, wie die Deutschen so leben. Und Vlado wollte unbedingt ein Passfoto von mir, damit er mich immer bei sich tragen kann. Langsam wächst er mir ans Herz.«
»Töpfchen, du hast gut lachen«, sagte Magdalena zum Kochtopf. »Du und Alena, ihr habt einen Deckel.« Mit mir will keiner Zukunftspläne schmieden oder eines meiner Bilder herumtragen. Sie seufzte, versuchte, sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal mit einem Mann zusammen gewesen war. Ihre bisherigen Liebesbeziehungen konnte sie an einer Hand abzählen. Und es lief immer nach demselben Muster ab: Mag¬dalena umsorgte sie, obwohl sie keine großartigen Typen waren und allesamt auf sich fixiert, egoistisch, triebhaft. Sie hatte immer ein offenes Ohr für die typisch männlichen Probleme, stellte sich und ihre Anliegen zurück und wurde dennoch bald verlassen, manchmal betrogen oder einfach nur wie Luft behandelt. Ob sie in der Erinnerung der Kerle geblieben war, bezweifelte sie stark, außer vielleicht als ein Knochen¬gestell, an dem sie sich das Becken schmerzhaft gestoßen hatten. Zu wenig gab sie von ihrem Inneren preis, vielleicht war sie auch deshalb nie am Boden zerstört, wenn die Beziehungen beendet waren. Den¬noch …
»Magda? Alles okay bei dir?«
Sie zuckte zusammen. Alena stand im Türrahmen, mit Blick auf den bemalten Kochtopf, eine Augenbraue hochgezogen.
»Hab dich nicht kommen hören«, bemerkte Magdalena, während sie den Topf in die Spüle räumte. »Wie war es an der Uni?«
»Jetzt weich mir nicht aus.« Alena legte die Tasche ab und zog Magdalena mit zum Tisch. »Was liegt dir auf dem Herzen?«
»Ich war nur in Gedanken versunken.«
Alena legte den Kopf schief und warf ihr einen kritischen Blick zu.
»Na gut.« Sie ließ sich auf den Stuhl nieder und spielte mit Vlados Karte. »Manchmal, da wünsche ich mir auch jemanden,
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