Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
Tarabas, wobei er sich immer wieder umsah. »Hörst du was?«
»Moment!«
Eine Spinne lugte aus einer Ritze. Sie sah giftig aus und krabbelte auf Vincents Rücken zu. Mit dem stark behaarten Körper bot er dem Ungeziefer ideale Verstecke. Tarabas fasste eins ihrer vielen Beine und warf die Spinne ins Gebüsch.
»Was machst du da?«
»Ich hab dir das Leben gerettet.«
»Schscht! Ich höre was!« Wieder drückte er das Ohr fest an die Steine.
»Und?«
»Nein. Doch nichts.«
Tarabas sah über der Mauerkrone den Wipfel einer mächtigen Linde. Stünde der Baum auf ihrer Seite, könnten sie hinaufklettern. Aber so? Er rieb sich den Kopf und seufzte. Wären sie erwachsen, wäre das kein Problem. Auf die Zehenspitzen stellen, die Kante fassen, hochziehen. Oder sich hinaufzaubern, wäre er bereits jetzt der Zauberkunst mächtig. »Wenn sie uns erwischen, hetzen sie uns die Hoppler auf den Hals und dann enden wir als dampfende Hasenhaufen.«
Vincent winkte ab. »Das wagen sie nicht. Die Oberen wären in Aufruhr.«
»Was hilft uns das, wenn wir zernagt im Hoppelmagen liegen?«
»Willst du ihn nun sehen oder nicht?«
»Hm.«
»Jetzt komm. Rauf mit dir!« Vincent stellte sich breitbeinig mit dem Gesicht zur Mauer und stützte sich ab.
Wenn das mal gut geht, dachte Tarabas und stieg auf die Schultern seines Freundes. Vincent zischte Luft durch die Zähne. Tarabas hatte ihm wohl einige Haare ausgerissen. War da nicht ein Geräusch? Ein anderes Geräusch?
»Nun mach schon!«
»Psst!« Hoffentlich verfügten die Hexen über kein gutes Gehör. Tarabas horchte noch einmal. Auf Schritte. Stimmen. Auf irgendwas.
»Beeil dich«, ächzte Vincent und sackte etwas ein. Also griff Tarabas nach der obersten Kante und zog sich hinauf. Seine Tunika schleifte über den rauen Stein, dann hatte er es geschafft. Die Mauer war schmal, er schwankte. Fast wäre er auf die andere Seite gestürzt und dort neben dem Baum auf dem Moos zum Liegen gekommen. Er verharrte einen Moment, bis der Atem ruhiger ging, dann setzte er sich auf. Der Wipfel der Linde bot hoffentlich genug Deckung. Im Geäst hatte ein Zadler sein Nest gebaut. Mit seinen vier Schwingen galt er als der König unter den Raubvögeln.
Tarabas schaute sich um und war im ersten Moment enttäuscht, dass das Dorf wie ausgestorben wirkte. Ein paar Hütten standen herum, eine etwas abseits gelegene Baracke war mit Rosen geschmückt, überall erloschene Feuerplätze und an der gegenüberliegenden Mauer war ein riesiger Käfig aufgebaut. Er reichte fast bis zur Kante der Mauer. Ein Stummelschwanz, der zu einem gewaltigen Pelzpopo gehörte, lugte zwischen den Gitterstäben hervor. Einer dieser Hoppler?
In einiger Entfernung stand ein weiterer Käfig, doch mehr erkannte Tarabas durch den Wipfel nicht. Wo könnte sich der Fremdling versteckt halten, von dem Vincents Großmutter erzählt und der hier angeblich bei einer Hexe Unterschlupf gefunden hatte? Es musste sich um einen Abandonier handeln, ganz sicher.
»Siehst du ihn?«
Tarabas schüttelte den Kopf. »Nicht so laut.« Die Ruhe schien trügerisch. »Ich kann ihn nirgends entdecken.«
»Hilf mir hoch.«
Tarabas legte sich flach auf die Mauer und es dauerte einige Zeit, bis er Vincents Hand greifen und ihn hochziehen konnte. Sie setzten sich bequem und warteten ab.
Die Sonne ging allmählich unter, die Wolken färbten sich rosa, doch von dem Fremdling oder irgendwelchen Hexen keine Spur. Sie lehnten sich mit den Rücken aneinander und blickten über das Hexenreich.
»Und denen hat dein Vater die Fenster gemacht?«, fragte Vincent in die Ruhe hinein.
»Er hat nur das Glas geliefert.«
»Das verlangt trotzdem Mut.«
»Wenn der wüsste, dass wir hier sitzen ... Aber ich behaupte dann einfach, dass du mich angestiftet hast. Dann versohlt er dein haariges Popöchen und ich bin fein raus«, sagte Tarabas und grinste.
»Sehr witzig. Wo ist er gerade?« Vincent zog ein Lindenblatt aus seinen Schulterhaaren.
»Mit Freunden auf Schlangensuche.«
»Wenn du nicht so ein Angsthase wärst, könnten wir auch mal auf Schlangensuche gehen.«
Tarabas rieb sich das Kinn, an dem noch kein Flaum zu spüren war. Er begeisterte sich mehr für das Flötenspiel als für ein Abenteuer, aber das machte ihn noch lange nicht zu einem Angsthasen.
»Ich wäre dabei. Aber nur, wenn du versprichst, dass du an meiner Seite bleibst, egal, wie gefährlich es wird.«
»Genauso wie jetzt?«, fragte Vincent.
»Ja.«
»Seite an Seite?«
»Ja. Bis in
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