Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
Infusionsschläuche liefen in das Portsystem, das man im oberen Brustkorbbereich angelegt hatte. Dahinter stand der Überwachungsmonitor wie ein aufgestellter Posten.
Ondrej lehnte seine Krücken an die Schrankseite, sah zu dem Kreuz, das über Alenas Bett aufgehängt war und kramte aus der Seitentasche seiner Trainingsjacke ein Stoffküken. Er humpelte zum Nachtkästchen, auf dem ein Roman lag, stellte es neben das Bild von Alenas Vater und zog sich einen Stuhl ans Bett, setzte sich.
Die Tür ging auf. »Hallo Ondrej.« Die Stimme des Doktors.
»Hallo Herr Doktor«, erwiderte er. Der Arzt stellte sich neben ihn. Ondrej sah zu ihm hoch. Mit besorgter Miene sah er auf den Über-wachungsmonitor, beugte sich über Alena und befühlte ihre Stirn.
»Kommt sie durch?« Es war nur ein Flüstern. Dr. Svoboda legte eine Hand auf Ondrejs Schultern. »Beten Sie, junger Mann. Beten Sie für Ihre Freundin«, sprach er leise und verließ den Raum. Die Medizin war an ihre Grenzen gestoßen, man hoffte auf ein Wunder, so Ondrejs Eindruck. Tränen tropften von seinem Kinn und färbten das Laken dunkel.
***
Alena saß auf einer Felsenplatte, es dämmerte. In der Ferne nahm sie verschwommene, hell leuchtende Punkte wahr. Das grelle Licht, in das sie eingezogen worden war, hatte ihr die Augen geblendet, also rieb Alena sie, zerrieb die Eindrücke und gewöhnte sich bald an das vorherrschende Halbdunkel. Flammen loderten an den Rändern des Horizonts, das konnte sie nun deutlich erkennen. Es roch nach versengtem Fleisch, ein wenig.
Sie stützte sich nach hinten ab und grübelte, ob der Himmel aus Stein beschaffen war. Viele Hundert Meter über ihr hing ein Stalaktit, so schien es jedenfalls. Merkwürdiger Ort. Für eine Höhle zu groß.
War da Schlamm, da vorn an der Felsenplatte? Sie fühlte sich an ihre Albträume erinnert, an die Wiese, die in Sekundenschnelle im Morast versank. Sie schnellte nach vorn, schaute sich hektisch nach allen Seiten um und horchte angespannt. Wo war er, der Werwolf? Spähten flimmernde Augen nach ihr? War da ein Grollen?
An manchen Stellen gluckste der Morast, waberten Nebeldämpfe, ab und an ragten aus dunkler Erde Felsenplatten. Doch von der Bestie keine Spur. Das Zittern ließ nach, überraschend schnell.
Alena sah an sich hinab und strich den Leinenumhang glatt, der ihr bis zu den Knien reichte. Sie trug Mokassins und neben sich entdeckte sie den Stoffmond, ihren Tröster.
»Komm, Alena!« Es war ein Wispern.
Sie blickte auf und erkannte in der Ferne ein Glitzern.
»Komm zu mir! Komm nur! Hab keine Angst!«
Sie raffte sich auf und machte sich ohne den Stoffmond auf den Weg. Mit jedem Schritt versank sie bis zum Knöchel im Schlamm. Mühsam zog sie einen Fuß heraus, begleitet von einem schmatzenden Geräusch, und setzte ihn vor den anderen. Die Feuer in der Ferne warfen unheimliche Schatten an den Granithorizont. Alena versuchte, sich nur noch auf das Glitzern zu konzentrieren und musste bald eine Verschnaufpause einlegen. Erst da hörte sie ein Glucksen und Gurgeln hinter sich.
Sie blickte sich um und sah zu, wie sich die Fußstapfen geräuschvoll mit schwarzem Sud füllten. Fetzen tauchten darin auf – und Alena erkannte darauf Bilder aus Papas Märchen. Den Wolkenpalast entdeckte sie, dort die Sonnenprinzessin und da den Phönix Gennadij, die Klaue verhakt in einer schwarzen Spalte.
Die Bilder trieben eine Weile an der Oberfläche, bis die Farben verblassten, die Fetzen zerfaserten und sich Nebelflaum über den schwarzen Sud legte.
Ein Blick zurück zur Felsenplatte und zum Tröster. Der König des Lichts erschien an der Stelle, an der Alena eben noch gesessen hatte. Er hielt das Zepter unter der Armbeuge geklemmt und spielte mit dem Kinnbart, während er Alena mit einem nachdenklichen Blick taxierte.
Sie sah, wie das gelbe Fell des Trösters riss und der Stoffmond aufpellte. Ein Stückchen Sonne kullerte heraus, dem König vor die Füße. Alena schlug die Augen nieder, wandte sich ab und stapfte weiter dem Glitzern entgegen.
Da hörte sie die Stimme des Königs, die der Stimme ihres Papas zum Verwechseln ähnlich war. »Prinzessin, hast du nicht etwas vergessen?«
Sie ging erst langsamer, dann blieb sie stehen, ohne sich umzublicken. Ein Bild kam aus dem Nichts geflattert, schwang sich vor ihr auf. Es zeigte Ondrej, den Kopf bandagiert. Er saß vor ihrem Krankenbett mit einem goldumrandeten Buch auf dem Schoß. Auf dem Nachttisch stand das Foto ihres Papas, davor ein
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