Song of Blood (German Edition)
unmissverständlichen Geste den Anzug zurecht. An Dearings Gesicht erkannte er, dass die Drohung angekommen war.
„Ich weiß, dass Sie mir ebenfalls nur helfen wollen, Mr. Dearing. Es ist rührend, wie … besorgt alle um mich sind.“ Mit diesen Worten ließ er den Psychologen einfach stehen und näherte sich dem Büro des Bosses. Dies war ein Zimmer, das er während seiner ganzen Dienstzeit im Revier lediglich zweimal betreten hatte. Das erste Mal, als er eingestellt worden war und ein weiteres Mal, als Songlian Walker in sein Leben trat und in das Team aufgenommen wurde. Ohne vorher zu klopfen, trat er ein und ignorierte Anabelle Wilcox’ strafenden Blick angesichts dieser Dreistigkeit. Schweigend legte er ihr seinen Dienstausweis, die DV8 und seine Schlüssel für das Revier auf den Schreibtisch. Die kleine, aber resolute Frau lehnte sich mit einem arroganten Blick in ihren Bürostuhl zurück.
„Was hat das zu bedeuten, Baxter?“, fragte Wilcox mit harscher Stimme.
„Ich kündige, Ma’am“, erklärte sich Far.
„Um was zu tun, Baxter?“ Wilcox wischte einen imaginären Fussel von ihrem eleganten Kostüm und musterte ihn dabei mit ausdrucksloser Miene.
„Ich will Songlian suchen.“ Der Boss war nicht auf den Kopf gefallen, daher versuchte er es gar nicht erst mit Lügen oder Halbwahrheiten.
„So! Songlian Walker ist also der Grund für Ihr ausfallendes Benehmen. Haben Sie eigentlich eine entfernte Ahnung, in welche Ärsche ich alles gekrochen bin, nur damit Sie beide bei der SEED bleiben durften? Ich hatte nicht einmal ein Paar Gummihandschuhe dabei, geschweige denn eine Taschenlampe.“
„Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar, Boss. Es gibt nicht viele Vorgesetzte, die sich so für ihre Mitarbeiter einsetzen.“
„Ich weiß halt fähige Männer zu schätzen, Baxter. Selbst wenn sich von diesen fähigen Kerlen ein ganz Bestimmter seit Monaten wie ein aufgeblasener Anarchist verhält. Was denken Sie sich eigentlich? Ihre Kündigung ist abgelehnt.“ Wilcox schob ihm mit einer unwirschen Bewegung seine Habseligkeiten wieder zu.
„Ich kann es mir derzeit nicht erlauben, weitere gute Männer zu verlieren, nur weil die gerade eine kritische Phase in ihrem Leben durchlaufen.“
Far biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien.
„Interessant zu sehen, dass Sie sich zu beherrschen wissen. In meinem Büro dulde ich es auch nicht, dass Sie sich wie ein kleiner Rotzlöffel benehmen. Und eigentlich dachte ich, Sie hätten bereits nach Walker gesucht.“
Irrte er sich oder warf ihm der Boss gerade eine Rettungsleine zu? Far sah seine Vorgesetzte forschend an.
„Ich habe neue Informationen erhalten. Songlian soll sich in Paris aufhalten.“
„Ach? Im schönen Frankreich also.“ Wilcox betrachtete eine Weile ihre perfekt manikürten Fingernägel, ehe sie geschlagen seufzte.
„Sie sind bis auf Weiteres beurlaubt. Allerdings ohne Bezüge. Und nehmen Sie gefälligst Ihre Utensilien an sich.“ Damit deutete sie auf Fars Ausrüstung, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
„Finden Sie Walker und regeln Sie Ihre Angelegenheiten. Anschließend melden Sie sich umgehend hier bei mir, verstanden?“
Far nickte langsam. Es war unglaublich, welche Möglichkeiten ihm der Boss einräumte. Ehe sich die strenge kleine Frau versah, hatte er sie auf die Wange geküsst.
„Danke, Boss“, sagte er. „Sie sind die erste richtige Hilfe in diesem Schuppen hier.“
Anabelle Wilcox’ Augen blitzten amüsiert und ein kaum merkliches Lächeln umspielte ihre vollen Lippen.
„Viel Erfolg, Baxter“, sagte sie nur. „Und lassen Sie sich nicht zu viel Zeit.“
***
Die Angestellten des Wellnesstempels sprangen hastig beiseite, als Far zu den Massagezimmern lief. Jeder starrte ihn entsetzt an. In seiner ledernen Kleidung und der kennzeichnenden Weste der Nachtwölfe war er bereits auffallend genug. Doch er wusste, dass es sein grimmiges Gesicht mit den fast verheilten Schrammen und Schnitten war, das die Blicke der Leute anzog.
„Stopp!“, rief er, als er Philip mit einem Kunden sah, die gerade das Massagezimmer betreten wollten. Unsanft packte er den dicken älteren Mann und drehte ihn in die Richtung der starrenden Angestellten.
„Such dir ein paar andere Hände, Opa. Der hier gehört mir.“ Mit diesen Worten schubste er Phillip in das Zimmer und schloss die Tür.
„Wieso siehst du aus, wie du aussiehst?“, erkundigte sich Phillip erschrocken und musterte Far mit morbider Faszination.
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