Sonne über Wahi-Koura
einen vernichtenden Blick zu.
Helena blickte Zane auffordernd an.
»Ich weiß, dass Mistress de Villiers bei Ihnen in guten Händen ist«, erklärte der bereitwillig und lächelte Didier freundlich an.
»Also dann, wollen wir?«, fragte Helena. »Auf Wiedersehen, Mister Newman. Und danke für Ihre Fürsorge!«
Didier nickte und ging voran.
»Was muss ich denn bei dem Totenfest beachten?«, fragte Helena, während sie den Weinberg durchschritten.
Didier war sichtlich geschmeichelt. »Die tohunga und der ariki werden Sie mit einem hongi begrüßen, dem sogenannten Nasenkuss. Dabei berühren sich Ihre Nasenspitzen als Zeichen des gegenseitigen Vertrauens. Zeigen Sie keine Furcht! Ihnen geschieht nichts.«
»Die Heilerin hat mir das Leben gerettet. Weshalb sollte ich mich vor ihr fürchten?«, sagte Helena lächelnd. »Wie geht es dann weiter?«
»Es werden verschiedene Gesänge und Tänze vollführt. Sie brauchen dabei nichts zu tun. Niemand erwartet, dass Sie als pakeha die Gesänge und Anbetungen kennen. Sie sollten die ganze Zeit über aufmerksam und vor allem furchtlos wirken. Beim manawa wera haka werden zwar keine Waffen gezeigt, trotzdem kann auch das Trauerritual einem Fremden leicht Angst einflößen. Aber die Maori würden einem Besucher, der in friedlicher Absicht zu ihnen kommt, niemals etwas antun.«
»Das hätte ich auch nicht anders erwartet.«
Als sie den Weg erreicht hatten, der zum Kultplatz führte, wehte ihnen eine frische Brise entgegen. Helena atmete tief ein. Es riecht nach Regen, dachte sie. Hoffentlich bekommen wir bald welchen, der Wein könnte es gebrauchen.
»Madam?«, sprach ihr Begleiter sie unvermittelt an.
»Ja, Didier?«
»Als Sie hier eintrafen, haben Sie mich doch nach meinen Eltern gefragt.«
»Und Sie haben geantwortet, dass sie nicht darüber sprechen möchten.«
»Sarah und ich waren über lange Zeit die Einzigen, die wussten, dass Madame Maori-Vorfahren hatte. Sie hatte uns darauf eingeschworen, es niemandem zu verraten, denn sie hatte deshalb immer wieder unter Repressalien zu leiden. Aus Angst, dass es uns ähnlich ergehen könnte, haben Sarah und ich nicht mehr in unserer Muttersprache miteinander gesprochen und auch niemandem von unserer Herkunft erzählt, auch wenn diese offensichtlich ist.«
»Halten Sie das, wie Sie möchten«, erklärte Helena. »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mit Sarah in Ihrer Muttersprache reden. Wenn ich ehrlich bin, würde ich Ihre Sprache sogar gern lernen, immerhin werde ich noch eine ganze Weile mit Maori zu tun haben.«
Didier sah sie überrascht an. »Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
Sie gingen ein paar Schritte, dann sagte er unvermittelt: »Ropata.«
»Wie bitte?« Helena blickte sich um in der Annahme, dass ein Wächter aufgetaucht war.
»Das ist der Name, den meine Mutter mir gegeben hat«, erklärte Didier. Er bedeutet so viel wie ›strahlender Ruhm‹.«
»Ein sehr schöner Name«, sagte Helena. »Wie soll ich Sie nun nennen?«
»Didier ist mir schon ganz recht. Ich habe mich daran gewöhnt.«
Nachdem sie den Weinberg hinter sich gelassen hatten, gingen sie ein Stück durch den Busch und erklommen die Anhöhe. Außer Vogelgezwitscher und dem Rauschen der Bäume war nichts zu hören. Ob sie sich zu früh eingefunden hatten?
Erst als sie den Platz erreichten, zeigte sich, dass Helena bereits erwartet wurde. Der gesamte Stamm hatte sich bereits auf der Lichtung versammelt. Männer wie Frauen trugen dunkle Gewänder und Kränze aus Farnwedeln und Efeuranken auf dem Kopf. In den Händen hielten sie frische grüne Zweige.
Ein Schauder der Ehrfurcht erfasste Helena. Didier blieb respektvoll zurück, als sie sich den Wartenden näherte.
Aus der Menschenmenge schälten sich nun zwei Gestalten heraus. In der einen erkannte Helena die tohunga, die eine Halskette aus Perlen, Knochen und Federn trug. Sie hatte das graue Haar unter einem hohen schwarzen Zylinder verborgen.
Der junge Mann an ihrer Seite hätte ihr Enkel sein können. Jede seiner Bewegungen strotzte nur so vor Kraft. Sein Mantel schien auf den ersten Blick aus einem schwarzen Fell gefertigt zu sein, doch bei näherem Hinsehen fiel Helena auf, dass es zarte Federn waren, die in der sanften Brise wogten.
»Haere mai, Tochter und Enkeltochter von Huia«, grüßte die Heilerin und beugte sich vor. Als Helena ihr ein wenig entgegenkam, berührten sie einander an den Nasen, und Ahorangi zog sich wieder zurück.
Nachdem auch der Häuptling Helena auf diese
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