Sonne über Wahi-Koura
Außerdem, was ist schon dabei, wenn ich am Arm eines Gentleman gehe?«
»Nur dass ich keiner bin. Jedenfalls nicht im ursprünglichen Sinne des Wortes.« Und ich habe im Moment auch nicht gerade die Gedanken eines Gentleman, dachte er und wurde rot.
Helena blickte demonstrativ an ihm auf und ab. In seinem Gehrock machte er wirklich eine sehr gute Figur. »Aber Sie sehen wie einer aus. Und Sie haben sich mir gegenüber immer so verhalten, Zane.«
Newman lächelte verlegen. »Die Verhandlungen sind wirklich hervorragend gelaufen. Besser hätte es Madame auch nicht hinbekommen.«
»Haben Sie gesehen, wie blass er um die Nase wurde, als wir ihm unseren Preis genannt haben?« Helena kicherte amüsiert.
»Und die Schweißperlen auf seiner Stirn, als er merkte, dass er uns nicht kleinkriegen kann! Sie sind seine Fallen wirklich sehr gut umgangen, Helena.«
»Ich hatte in Ihnen auch einen sehr guten Helfer.«
Wie schön sie ist, wenn sie lächelt!, fiel Zane auf, als er ihr Profil betrachtete. Diesen Gedanken schob er aber sofort von sich. Sie ist meine Chefin. Ich will sie nicht ins Gerede bringen.
Vor dem Schaufenster eines Stoffladens blieben sie stehen. Die geschmackvolle Auslage sprach Helena sofort an. Farbige Tuchproben umrahmten fertig genähte Kleidungsstücke, unter anderem auch ein Abendkleid aus türkisblauem Taft.
Damit könnte ich der Heilerin sicher keine Freude machen, dachte Helena. Dann entdeckte sie jedoch einen Stoff, der ihr passend erschien.
Unter dem Gebimmel der Türglocke betraten Helena und Zane den Verkaufsraum.
Die Regale hinter dem Tresen waren prall gefüllt mit Stoffballen. Auf dem Zuschneidetisch lag noch ein Ballen dunkelgrüner Taft.
»Guten Tag, meine Herrschaften, was kann ich für Sie tun?« Eine ältere Dame mit Dutt war aus dem Hinterzimmer herbeigeeilt. Sie trug ein beigefarbenes Kleid mit dezenten schwarzen Streifen.
»Ich hätte gern zehn Ellen von diesem Baumwollstoff.«
Helena deutete auf ein buntes Stoffmuster. Für die Damen der feinen Gesellschaft war das sicher nichts, doch sie konnte sich vorstellen, dass die Heilerin ihn mögen würde.
»Möchten Sie Vorhänge daraus fertigen lassen?«, erkundigte sich die Verkäuferin.
»Nein, es soll ein Geschenk sein.«
Die Verkäuferin nickte und verschwand mit dem Stoff im Hinterzimmer, um ihn abzumessen.
»Ich wette, das würde Ihnen hervorragend stehen«, bemerkte Zane, als Helena schwärmerisch das blaue Kleid betrachtete.
»Finden Sie?«
»Die Farbe passt zu Ihren Augen und zu Ihrem Haar. Mit dem Kleid wären Sie die Sensation auf jedem Ball.«
Helena wollte schon einwenden, dass sie auch in den nächsten Monaten nichts anderes als Schwarz tragen dürfe. Aber sie verdrängte die trüben Gedanken. Was ist schon dabei, wenn ich von besseren Zeiten träume? Ich würde so gern wieder tanzen ... »Welche Bälle gibt es denn in der Gegend?«, erkundigte sie sich.
»Nun, wir haben den Frühjahrsball, den Unternehmerball, das Scheunenfest und natürlich den Herbst- und Neujahrsball. Darüber hinaus gibt es noch viele andere Möglichkeiten, sich fein zu machen.«
Helena lächelte schelmisch. »Zu diesen Bällen kann ich aber unmöglich allein erscheinen.«
»Sie werden sicher einen Kavalier finden.«
Helena musterte ihn von Kopf bis Fuß. Dann sah sie sich nach der Stoffauslage um. »Ihnen würde Smaragdgrün stehen. Wie wäre es, wenn Sie sich einen Anzug schneidern ließen?«
»Glauben Sie nicht, dass ich darin wie ein Zirkusclown aussehen würde?«
»Nein, ganz sicher nicht. Eher wie ein Dandy.«
»Und Sie würden sich von einem Dandy begleiten lassen?«
Helene legte kokettierend den Kopf zur Seite. »Wenn Sie es sind, sicher.«
In dem Augenblick erschien die Verkäuferin mit dem Stoffpaket. Verwundert betrachtete sie den Kellermeister, der plötzlich rot geworden war und sehr verlegen wirkte.
Nach dem Einkauf im Stoffladen suchten Helena und Zane wie geplant den Reverend auf. Das Gespräch mit ihm verlief ernüchternd. Da von den Akten seiner Amtsvorgänger im Laufe der Jahre einiges verlorengangen war, machte er ihnen nur wenig Hoffnung, die gewünschte Urkunde zu finden. Allerdings versprach er ihnen, nachzusehen und binnen einer Woche das Ergebnis mitzuteilen.
»Vielleicht sollten Sie doch lieber Madame nach den Papieren fragen«, schlug Newman vor, als sie zur Kutsche zurückkehrten. »Der Reverend kennt gewiss sein Archiv. Und wenn er schon nicht glaubt, dass er Unterlagen aus jener Zeit finden
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