Sonnenscheinpferd
himmelblauen Geburtstagsschleifen in meine Zöpfe zu binden. Sie waren allerdings etwas zerknittert, denn an dem Abend, als Magda ging, hatte ich vergessen, sie vor dem Schlafengehen herauszunehmen.
Dieser Spaziergang war ein Rätsel wie aus einem Buch. Zunächst dachte ich, Harald wollte mit mir zur Dairy-Queen-Eisbude in der Hauptstraße gehen. Da würde ich ein Eis mit Schokoladenguss bekommen, wie auf einem Sonntagsausflug.
Aber er schlug sofort eine komische Richtung ein, nämlich die Njarðargata hoch und an der Statue von Leif Eriksson vorbei. Auf der Njálsgata angekommen, war ich mir ziemlich sicher, dass er auf all diesen Umwegen kaum unterwegs in die Innenstadt sein konnte, aber vielleicht musste er ja bei einem Patienten vorbeischauen.
Der Spaziergang endete auf einmal in Guðmanns Herrensalon. Dort war ich schon ein paarmal gewesen, wenn Magda mit Mummi zum Haareschneiden ging, aber mir wurden dort nie die Haare geschnitten. Magda kümmerte sich immer um meine Haare und stutzte die Spitzen.
Der Gang zum Friseurladen war nur so zu verstehen, dass Harald sich die Haare schneiden lassen wollte. Deswegen war ich ein einziges großes Fragezeichen, als Guðmann ein Brett quer über die Armlehnen des Friseursessels legte. Das tat er immer, wenn Kindern die Haare geschnitten wurden, aber ich war das einzige Kind im Laden.
Guðmann zog mir den Anorak aus und hängte ihn an einen Haken. Als er mich auf das Brett hob, sagte ich vor lauter Erstaunen: Was?, so als hätte jemand etwas gesagt, aber niemand hatte etwas gesagt.
Im Spiegel bot sich mir ein reizender Anblick. Meine dicken Zöpfe waren zerwuselt wie bei der schlimmsten Schlampe, und die Schleifen völlig zerknautscht. Das war nicht dasselbe Mädchen wie im Spiegel im Magdazimmer, wenn es die Zöpfe geflochten und neue Schleifen bekommen hatte.
Wollt ihr die Zöpfe behalten, fragte Guðmann.
Im Spiegel sah ich, dass Harald auf diese Frage nicht vorbereitet war, er senkte den Blick und sagte dann:
Das lohnt sich wohl kaum.
Ich schloss die Augen und hörte das Geräusch der Schere direkt an meinem Ohr – und dann ein Rascheln, als der Zopfzu Boden fiel. Ich hielt die Augen immer noch geschlossen, als das Schnippeln am anderen Ohr zu hören war, und öffnete sie erst, als der zweite Zopf hinunterfiel. Im Spiegel war ein Mädchen mit verschandelten Zopfstümpfen, die hinter den Ohren abstanden. Beinahe hätte ich angefangen zu lachen. Das erinnerte an etwas Lustiges aus einem Zeichentrickfilm im Fernsehen für die Soldaten auf dem amerikanischen Stützpunkt.
Guðmann wollte gerade die Schere wieder ansetzen, als ich ihn in den Handrücken biss. Sie fiel ihm aus der Hand und ritzte mir die Wange ein. Im Spiegel quollen zwei Blutrinnsale hervor und rannen rasch am Hals hinunter.
Ich sprang von meinem Sitz herunter. Meine blonden Zöpfe mit den Geburtstagsschleifen waren in einem Haufen mit unbekannten Haaren gelandet, braunen und dunkelblonden. Ich trampelte auf den Zöpfen herum, schrie wie am Spieß und ging mit den Fäusten auf Guðmann und Harald los. Dann rannte ich ohne Anorak auf die Straße hinaus und lief brüllend in Richtung Sjafnargata. Es war schwierig, im Laufen zu heulen, deswegen hielt ich bei Leif Eriksson inne, um eine größere Lautstärke zu erzielen, und dann noch einmal an der Ecke von Freyjugata und Njarðargata.
Ich rannte in mein Zimmer, warf mich angezogen und mit Schuhen aufs Bett und brüllte weiter aus allen Leibes- und Seelenkräften. Ragnhild kam herein. Sie setzte sich auf mein Bett. Ich war so verblüfft, dass ich verstummte.
Na na na, sagte Ragnhild und packte mich mit einem Ruck bei den Beinen. Sie wollte mich also verhauen, wie es manchmal mit unartigen Kindern in Büchern geschah. Manche waren aber gar nicht unartig und hatten gar nichts ausgefressen, sondern man hatte sie zu Unrecht verdächtigt.
Ganz ruhig, sagte Ragnhild und massierte mir den Oberschenkel.
Ich sah sie nicht an, und ich spürte nichts, aber sie hatte mir natürlich eine Spritze verpasst und die Stelle vorher massiert, damit ich den Einstich nicht spürte.
Aber weshalb tat sie das? Ich hatte in Erwachsenenbüchern über tödliche Spritzen gelesen, und auch darüber, dass Kinder umgebracht wurden, aber ich kannte keine Beispiele dafür, dass Mütter so etwas praktizierten – außer wenn es darum ging, Kinder auszusetzen wie in den Märchen, aber das geschah gleich nachdem sie geboren wurden.
Vielleicht war Ragnhild überhaupt nicht meine
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