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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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dümpelten, wie kleine Kinder mit Schwimmflügeln im Hallenbad.
    Mummi behauptete, dass die Zöpfe niemals versinken, sondern wie Flaschenpost die Weltmeere durchpflügen und in Australien landen würden. Dort würden sich dann winzig kleine Leute am Strand drängeln und in einer unglaublich komischen Sprache sagen, dass es Zöpfe von einer Meerjungfrau wären,
raufrungjeem
.
    Ich verwendete Mummis Lieblingswort gegen ihn und sagte, das sei Blödsinn – Meerjungfrauen hätten keine Zöpfe und würden auch nicht in Australien leben. Mummi erklärte, dass Meerjungfrauen ganz häufig Zöpfe trügen und ich hätte keinen blassen Schimmer, ob es sie nicht genauso gut auch in Australien gäbe wie in Kopenhagen.
    Während wir uns darüber stritten, kamen kleine wiegende Wellen, und die Zöpfe drehten und schlängelten sich mitsamt den Schleifen. Mummi sagte
Würmer
. Ich sagte
igitt
und bewarf sie mit Steinen und noch mehr Steinen. Der eine Zopf brauchte übernatürlich lange, bis er völlig unterging. Ich sagte: Besser spät als nie!, als er endlich versank.
    Wir setzten uns auf einen Stein und sahen den Wellen zu, von denen die Zöpfe auf den Meeresgrund geschaukelt würden. Mummi schlug vor, ein frommes Lied zu singen, wie in Kinderbüchern, wenn kleine Vögel beerdigt werden, und wir sangen
Lasst uns erheben Herz und Stimm
. Mummi wollte auch
Jesus, stärke deine Kinder
singen, aber ich sagte, dass man nur ein Lied singen dürfe.

    Halla im Milchladen war uns zu den Öffnungszeiten Trost und Stütze im Dasein. Sie fragte nicht viel und hatte immer vernünftige Ratschläge im Hinblick auf die wenigen Dinge parat, mit denen man nicht zurande kam. Das konnte eine miauende Katze sein, die sich in den Nasenbaum verirrt hatte und nicht herunterkam, oder Mummi nach irgendeinem Sturz mit einer ungewöhnlich großen Platzwunde, die genäht werden musste. Halla rief die Polizei an, um die Katze zu retten, und sie sorgte dafür, dass die Schlüpfer-Frau mit Mummi zur Ambulanz fuhr.
    (Harald und Ragnhild waren nie zu erreichen, deswegen erfanden Mummi und ich Geschichten, wie sie blaumachten und statt zu arbeiten alle Tage Sonntagsausflüge nach Hafnarfjörður unternahmen, falls sie nicht sogar in den Walfjord fuhren oder nach Þingvellir, natürlich nicht, ohne einen Karamellshake aus der Dairy-Queen-Eisbude mitzunehmen.)
    An einem dieser Tage mit scheußlichem Wetter, als Mummi und ich die Sauermilch kauften, die Ragnhild morgens zu sich nahm, damit ihr von all der Kaffeetrinkerei nicht schlecht würde, rutschte Halla folgende Bemerkung heraus, während sie mir das Wechselgeld reichte:
    Du bist aber wirklich kein
Sonnenscheinpferd
, mein Kind.
    Ich verstand zwar nicht, was das bedeuten sollte, ob das ein Sprichwort war, wie auf den Zetteln in den großen Schokoladenostereiern, aber ich fand es irgendwie tragisch, kein Sonnenscheinpferd genannt zu werden, und weinte deswegen zwei Abende hintereinander. Mummi als Experte in Sachen Spitznamen machte aus mir eine Sonnenscheinmähre.
    Ich hatte größte Lust, Halla zu fragen, was für eine Kreatur sie damit gemeint hatte – ob es mit etwas Traurigem verbunden war, aber ich brachte es nie über mich. Dieses orakelhafte Wort interpretierte ich in erster Linie so, dass ein Sonnenscheinpferd eine Art Sonntagsgaul war, der bei schlechtem Wetter im Stall bleiben durfte und nur bei Sonnenschein hinausgelassen wurde. Aber weshalb war ich angeblich
kein
Sonnenscheinpferd? Eine Zeitlang wollte ich Harald danach fragen, aber da bestand die Gefahr, dass er das Pferd mit mir in Verbindung bringen würde. Ungewiss, ob er sich darüber freuen würde.
    Die letzte Zuflucht mit der Sonnenscheinpferdfrage war Nellí auf der Grettisgata. Sie war anscheinend ziemlich klug, da sie sich auf doppelte Arbeit und Hauptsünden verstand. Außerdem würde sie sich vermutlich nicht über Seltsame Fragen wundern, so wie die Hauswirtschaftslehrerin mit den schlaffen Lidern. (In jeder Stunde sagte sie zu einem in der Klasse: Das ist aber eine Sehr Seltsame Frage, und es endete damit, dass Lísa sie die Seltsame Frage nannte.)
    Ich raffte mich zu einem Besuch in der Grettisgata auf, indem ich mir einredete, dass Nellí sich bestimmt darüber freuen würde, wenn ein Mädchen zu Besuch käme, auch wenn nur ich es war und nicht ihre eigene Tochter, die weggebracht worden war, schwer zu sagen, wohin.

    Bei Nellí hatte es Veränderungen gegeben. Sie hatte die Holzvertäfelung in der Ecke beim Herd hellgrün

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