Sonnensturm
Gesichtszüge verstärkten
diesen Eindruck noch. Aber er wirkte einfach lächerlich in
einem Anzug. Und als Myra auf ihn zuging, schien er sogar zu
erschrecken.
»Hi. Ich bin Myra Dutt, Bisesas Tochter. Wir sind uns
vor ein paar Jahren schon einmal begegnet.«
»Wirklich?«, stotterte er.
»Aber ja. Auf einer von diesen Ordensverleihungen. Sie
wissen schon, Umptata und die Präsidenten. Da verliert man
schon mal den Überblick, stimmt’s?«
»Ich glaube…«
»Ich bin achtzehn, ich habe gerade ein Studium begonnen
und will in die Astronautik. Sie sind also derjenige, der den
Sonnensturm entdeckt hat, richtig? Was machen Sie jetzt
so?«
»Nun, ich arbeite an der Anwendung der Chaostheorie auf
die Wetterkontrolle.«
»Quasi vom Weltraumwetter zum Erdwetter?«
»Eigentlich besteht ein größerer Zusammenhang
zwischen den beiden, als man glauben
möchte…«
Myra fasste ihn am Arm und lotste ihn zu einem Tisch mit
Getränken.
Bisesa näherte sich Siobhan und den anderen etwas
zaghaft; es war schließlich schon lang her, seit sie sich
das letzte Mal gesehen hatten. Aber sie lächelten alle,
gaben sich Bussis und umarmten sich.
»Myra ist gnadenlos, stimmt’s?«, sagte
Siobhan.
»Sie kriegt, was sie will«, sagte Bisesa
kläglich. »Aber so sind die Kinder
heutzutage.«
Michail nickte. »Gut für sie. Und wenn sich dann
herausstellt, dass Eugene es auch will – nun, dann wollen
wir doch hoffen, dass es hinhaut.«
Selbst jetzt vermochte Bisesa noch das Bedauern und den
Verlust in seiner Stimme zu hören. Impulsiv umarmte sie ihn
wieder – aber vorsichtig. Er fühlte sich erschreckend
zerbrechlich an; man sagte, während der Entstehung des
Sonnensturms habe er sich zu lang auf dem Mond aufgehalten und
seine Gesundheit vernachlässigt. »Sie werden bestimmt
nicht vom Fleck weg heiraten.«
Er lächelte und legte dabei das Gesicht in Falten.
»Er weiß, was ich für ihn empfinde, wissen
Sie.«
»Er weiß es?«
»Er hat es immer gewusst. Er ist nett, auf seine Art. Es
ist nur nicht viel Platz in diesem Kopf für andere Dinge
außer Arbeit.«
Siobhan schnaubte. »Ich habe das Gefühl, dass Myra
Platz schaffen wird – wenn es überhaupt jemand
vermag.«
Bisesa und Siobhan hatten eine E-Mail-Freundschaft gepflegt,
sich aber seit Jahren nicht mehr persönlich getroffen.
Siobhan war nun in den Fünfzigern; ihr Haar wurde von
aparten grauen Strähnen durchzogen, und sie war mit einem
farbigen, aber formellen Hosenanzug bekleidet. Sie war jeder Zoll
die Königliche Astronomin, sagte Bisesa sich, eine
populäre Medienfigur und ein Liebling des britischen,
eurasischen und amerikanischen Establishments. Aber sie hatte
noch immer diesen scharfen Blick, den wachen Verstand – und
die humorvolle, aufgeschlossene Skepsis, die es ihr vor Jahren
ermöglicht hatte, Bisesa mit ihrer seltsamen Geschichte von
Außerirdischen und fremden Welten überhaupt Gehör
zu schenken.
»Sie sehen toll aus«, sagte Bisesa aufrichtig.
Siobhan tat das mit einer Geste ab. »Toll
gealtert.«
»Die Zeit vergeht«, sagte Bud etwas steif.
»Myra hatte Recht, stimmt’s? Zum letzten Mal hatten
wir uns bei den Zeremonien nach dem Sturm gesehen.«
»Ich habe das alles genossen«, sagte Michail.
»Ich hatte immer schon ein Faible für
Katastrophenfilme! Und jeder gute Katastrophenfilm sollte mit
einer Ordensverleihung oder einer Hochzeit oder gar mit beidem
enden – idealerweise in den Ruinen des Weißen Hauses.
Wenn Sie sich erinnern, der letzte Anlass unserer Zusammenkunft
war die Verleihung des Nobelpreises.« Das war fast
eine Katastrophe geworden. Man hatte Eugene förmlich
nötigen müssen, aufs Podium zu gehen und den Preis
für seine Arbeit über den Sonnensturm entgegenzunehmen:
Er hatte zunächst darauf beharrt, dass jemand, der so viel
Mist gebaut hatte, kein Recht auf diese Auszeichnung hätte,
doch Michail hatte ihn schließlich umgestimmt. »Eines
Tages wird er mir dafür noch dankbar sein«, hatte er
gesagt.
Bisesa drehte sich zu Bud um. Bud, der nun Ende fünfzig
und einen Kopf kleiner als seine Frau war, war zu der Art von
braungebranntem, schlankem und stattlichem Offizier geworden, die
die amerikanische Armee als ›Dutzendware‹
hervorzubringen schien. Aber Bisesa hatte irgendwie auch den
Eindruck, dass das Lächeln gezwungen und die Haltung
angespannt war.
»Bud, ich freue mich, dass Sie hier sind«, sagte
sie. »Haben Sie Myra sagen hören, dass sie
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