Sonnenwanderer
fasste ihrer Gefährtin in den Schritt, als sie von der Bank zurückstolperten.
»Und nun«, dröhnte der Zirkusdirektor, »nie gesehen, nie gekannt, Nixo-Zirkus presenteered diese Kreatur van Reinheit und Erhabenheit, van Magie nirgendwo sonst als hier, das eine und einzigartige - Einhorn!«
Das Einhorn trabte in die Manege, geführt von zwei Menschenmädchen an einem Seil aus Efeuranken. Es sah nicht gut aus. Die Flanken waren mager, das Horn wippte seitlich, aber das war nicht der Grund für die allgemeine Bestürzung. Die Kreatur war weiß! »Was für ein grässliches, grässliches Ding!«, kreischte Dorcas Mandebra, während alle krampfhaft wegblickten.
Tilt riss seine Melone vom Kopf und gab dem Zirkusdirektor ein Zeichen. Im Nu war das anstößige Biest einmal rund- und zurückgezerrt. Ein halbes Dutzend Menschen kamen Rad schlagend und jonglierend in die Manege. »Ich bitte um Vergebung, mein Dames, Entschuldigung«, dröhnte der Vespaner in das geschwärzte Publikum.
Dorcas blickte nach oben, in die Nischen und Aussparungen
des Zeltes. »Es war sowieso nicht echt«, murmelte sie und fächelte sich plötzlich Luft zu.
Käpt’n Jute saß in ihrem Apartment und plagte sich an dem neuen Terminal ab, das sie sich hatte installieren lassen. Sie kämpfte sich durch die Vorschläge zur Zweiten Integration.
Diese Projekte, eines so obskur wie das andere, waren das intellektuelle Äquivalent der Phobien, fixe Ideen, die von großen Teilen der Bevölkerung Besitz ergriffen und sie über Monate zwanghaft miteinander plappern ließen. Es gab Rivalitäten, Animositäten und Schismen. Blut wurde vergossen um die Zuteilung von Rechnerzeit. Dann eines Tages verloren alle Phrasen ihren Glanz und ihre Autorität. Konzepte, Interpretationen dieser oder jener Besonderheit der frasquischen Architektur oder Technik wurden angezweifelt, über den Haufen geworfen oder lächerlich gemacht. Neue Theorien kamen auf, neue Beleidigungen des gesunden Menschenverstandes. Es war alles gequirlte Scheiße, nicht bedeutsamer als das überschwängliche Getue der Palerner. Käpt’n Jute verstand weniger als die Hälfte, und es war ihr so was von schnuppe. Sie blickte auf und bemerkte das kleine weiße Mädchen, das in Reichweite stand.
Es war ein sehr kleines Mädchen, höchstens sieben Jahre alt, in einem weiten Kleidchen mit kurzen Spitzenärmeln und einem Schürzchen darüber. Es hatte volles, blondes Haar, und ein schwarzes Samtband sorgte dafür, dass es ihm nicht ins Gesicht fiel. Das Mädchen stand vor der Tür, die sich nicht geöffnet hatte.
Geräuschlos lief es auf sie zu, machte einen zögerlichen Knicks und sagte: »Entschuldige, verehrte Dame, bist du eine Königin?«
Käpt’n Jute fand sich mit dem Rücken an die Wand gepresst, und in diese Wand versuchte ihr Herz ein Loch zu hämmern.
Irgendwie war sie, ohne es zu bemerken, vom Terminal hierhergelangt.
»Licht an!«, rief Käpt’n Jute.
Das kleine Mädchen fiel auf die Knie und faltete die Hände. Seine Augen waren groß und ernst, und es hatte ein ziemlich vorspringendes Kinn. »O bitte, Eure Majestät, ich wollte dich nicht erschrecken!«, sagte es. »Ich hoffe, du lässt mir nicht meinen Kopf abschneiden, denn ich muss einen Kopf haben, damit ich lernen kann … oh, ich muss noch sooo viel lernen!«
Als das Licht seine volle Helligkeit erreicht hatte, konnte man durch das Ding hindurchsehen. »Alice, was ist das?«
»WAS IST WAS , KÄPT’N?«, fragte die körperlose Stimme mit einer kleinen Verzögerung zurück.
Käpt’n Jute schloss ganz fest die Augen und machte sie wieder auf und sagte verbissen: »Es ist da. Es ist wirklich da. Was ist das?«
»KEINE DATEN, KÄPT’N«, sagte das Subego. »SOLL ICH DIE SICHERHEIT ALARMIEREN?«
»Nein. Bleib in Bereitschaft.«
Es war ein Holo, wie dieser dämliche Vogel von Marco Metz. Aber wie kam ein Holo hierher, in ihr Apartment, in ihr Zimmer?
»Was bist du?«, fragte sie das Mädchen.
»Na schön, ich bin niemand«, sagte der Anschein eines Mädchens. »Nur ein Bote.«
»Okay«, sagte Käpt’n Jute, der das Herz bis zum Hals schlug.
Mitten zwischen ihnen stand ein Stuhl. Sie ging hin und setzte sich. »Ich bin die Königin«, sagte sie, »gib mir die Botschaft.«
»Du bist vielleicht eine Königin, aber welche Königin bist du?«, sagte das kleine Mädchen. »Es gibt ja soo viele! Die Königin Außerhalb und die Königin Innerhalb und die Hundekönigin - und natürlich Ihre Königlichen Hoheiten die
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