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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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war unhandlich, zumal mit so viel Metall im Leib, doch schwer schien sie ihn nicht zu finden. Sie kauerte sich zwischen Leiche und Matratze auf den Boden, die langen Arme vorgestreckt, Handteller nach oben; die Krallen an allen zwanzig Fingern waren kurz geschnitten. Sie trug ein einfaches Kleid, tiefrot und rund ausgeschnitten. So wie sie dasaß, spannte sich der Stoff um die muskulösen Hüften. Ihr Schwanz war gestutzt.
    Der Mann bemerkte, dass sie mit großen Augen zu ihm aufsah, gebannt von seinem Schweigen. Die blaue, lederne Reisetasche
stand zwischen ihnen auf dem Boden, ungeöffnet. Grant Nichtsweiter fragte sich kurz, ob es wohl seine oder ihre Tasche war.
    »Ja, gut, also dann«, sagte er.
    Er zog die Hosenknie hoch, ging mühelos in die Hocke und öffnete den Reißverschluss. Das Anzugmaterial bewegte sich wunderschön über Rücken und Glieder.
    Er nahm den beigefarbenen Netjockey aus der Tasche, das Ding sah aus wie eine Wachstafel. Eine indifferente, anonyme Spezialanfertigung ohne Kennziffern.
    Aus einem versteckten Fach auf der Rückseite spulte er zwei dünne Kabel ab; den Stecker des einen schob er in die Kommunikationsbuchse an der Wand, den intelligenten Stecker des anderen behutsam in die ROM-Buchse auf der Brustplatte des Toten, so behutsam, wie ein Chirurg die Sonde in einen Ventrikel führt.
    Der Netjockey piepte.
    Die Frau tat einen kleinen schniefenden Seufzer.
    Derweil der Netjockey den Lesespeicher des Polizisten kopierte, weitete Grant Nichtsweiter die Öffnung der Tasche und hob mit beiden Händen ein weißes Viskosehemd heraus; nicht lose, nein, es hing auf einem Bügel. Er nahm es beim Haken und ging damit durch den Spalt in das zweite Zimmer.
    Dort ging er zum Fenster und blickte hinunter in das bernsteinfarbene Halbdunkel, hinunter auf die Straße am Grund der Kluft. Grant Nichtsweiter hatte diesen Bezirk immer gemocht, weil er typisch war für Orbitalstationen: verstädtert, dreckig und auf brutale Weise unpersönlich. Alles war aus Schaumstein und Kunststoff, und die Luft stank nach schlechtem Benzin.
    Er ging zurück, ging an der kauernden Frau vorbei, ihrem
aalglatten Schädel mit der stummen, nach oben gerichteten Schnauze. »Wir haben noch ein paar Dinge zu erledigen.«
    Er hängte das Hemd an einen Nagel, an dem irgendwann ein Bild gehangen hatte, und ließ den Rand einer Manschette zwischen Zeige- und Mittelfinger gleiten. Das Hemd glich haargenau dem, das er unter dem grauen Feinkordanzug und der himbeerroten Seidenkrawatte trug.
    Der Netjockey piepte wieder.
    »Da sind noch ein paar Dinge«, sagte Grant Nichtsweiter, als er eine Vorauswahl an Zugangscodes traf, »die wir erledigen müssen.« Er tastete seinen Befehl ein und hängte noch eine raffinierte celestinische Endlosschleife hintenan, bevor er auf »Enter« drückte.
     
    Hätte man ihn gefragt, was sich an Bord der Station geändert hatte seit dem herzzerreißenden Abschied von der Erde, Grant Nichtsweiter hätte nur trocken und missbilligend gelacht.
    Alles war vorbei. Die ganzen Waren, die ihm durch seine blassen, glatten Hände gegangen waren, als Plenty noch im Orbit gewesen war, die Präferenzen und Profile, die in den Winkeln und Falten des World Wide Webs nisteten, für die man viel bezahlte, um sie zu bekommen oder zu löschen: vorbei. Vorbei, als der frasquische Antrieb zum Leben erwacht war und er, Grant Nichtsweiter, mit einem Schlag von all seinen Kontakten abgeschnitten war.
    Nur eine Person war verantwortlich.
    Grant Nichtsweiter und seinesgleichen hätten sich über 000013 ausschiffen können, wären von irgendeinem Schiff mitgenommen worden, aber er hatte sich entschieden, vor Ort zu bleiben. Die Situation war, wenn auch unerfreulich, so doch einzigartig. Es war eine Herausforderung.

    Die Möglichkeiten waren natürlich enorm.
    Der Netjockey piepte. Zugang. Er war drin.
    Jogo verließ plötzlich ihren Platz zwischen dem Toten und der Matratze und ließ sich mit dem Rücken zur Wand nieder, ein Knie am Boden, das andere zwischen ihren Brüsten und die langen Arme von sich gestreckt. Sie schien nervös, als sei ihre Identität irgendwie in Gefahr; als drohe die bloße Leere von Wänden und Boden sie zu zerreißen.
    Sie seufzte wieder und schlug die Arme um den Kopf.
    »Was?«, fragte ihr Gefährte scharf.
    Jogo nahm ihren Kopf aus den Armen. »Geruch«, sagte sie. Ihre Stimme klang guttural, klein in dem Apartment, klein und unwillig.
    Seit sie hier waren, sah ihr Grant Nichtsweiter zum ersten Mal in

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