Sonnenwanderer
einem Ginganhemd füllte die Süßstoffspender wieder auf, derweil der Altairer mit dem Mopp vor Hitze dampfte. Eine Gesellschaft von Gästen erhob sich und war voll des Lobes.
Draußen sprach Pater Le Coq sie an. Er wollte sich ihre Aufmerksamkeit mit einer Hand voll großer, selbst gemachter Karten
sichern, die er grellbunt angemalt und mit Ausschnitten aus Magazinen beklebt hatte: Gesichter von Models; Luxusartikel; Mondphasen. Das waren seine Orientierungshilfen, seine Talismane. »Meine Brüder und Schwestern, während wir hinter dem Vorhang des Kosmos dahinkriechen, tut ihr gut daran, euch vorzusehen und zu beten. Wir halten uns im Äußeren Dunkel auf, und jede noch so kleine Sünde, jeder noch so kleine Fehltritt könnte euch in eine andere Dimension verschlagen!«
Der Prediger trug eine lange, malvenfarbene Jacke, enge schwarze Hosen, die unten ausgefranst waren, sowie eine uralte, bestickte Weste mit vielen Fettflecken und Brandlöchern. Er hatte lange, buschige Koteletten, aber nur noch einen schütteren Haarkranz. Die eindringlichen Augen wurden durch kreisrunde, in Golddraht gefasste Brillengläser vergrößert. Sie wölbten sich aus ihren Höhlen, um einen mit feuchter Entrüstung heimzusuchen.
»Die Di-men-si-on der Verdammung!«, intonierte der Prediger grauslich. Er zog blitzschnell eine neue Karte und hielt sie seinen Gefangenen vors Gesicht, die Füße weit auseinander, langsam und mesmerisch von einer Seite auf die andere schwankend. »Hebt euch empor, sage ich, und begebt euch in die Hände von Bruder Jesus.«
Le Coq war der Prediger vom Maison Zouagou, dem Tabernakel der Träume. Seine Hände starrten von wuchtigen Ringen, vergoldeten und silbernen und solchen aus Plastik. Als er seine Karten mischte, dramatisch wie ein Wahrsager, konnte man merken, dass er selbst eine verlorene Seele war zwischen all den Hochstraßen. Er redete zwar vom Kosmos, hatte aber keinen Schimmer, wo er sich gerade aufhielt.
Die Gefangenen hörten nicht zu. Sie zeigten durch die Edental-Kuppel nach oben auf eine kleine, glänzende schwarze
Gestalt, die an einer fernen Reihe von Stützpfeilern vorbeiflog. »Guck mal, Ma! Ein Cherub!« Die Cherubim waren die experimentellen Sprösslinge der Seraphim: Menschen, die sie für den Weltraum umgemodelt hatten. Es hatte sich herumgesprochen, dass einer an Bord war, man hatte ihn im AV gesehen. Trotzdem hatte keiner gedacht, ihn jemals zu Gesicht zu bekommen. »Hier gibt es nichts, was es nicht gibt...«
Die Leute stiegen in ihre Taxis und wuschten von dannen. Die selbstgerechten Verwünschungen, die der Prediger hinterherschleuderte, brachen sich vielfach in den Fußgängerröhren der Mall.
»Beantragt bei Capella, dass man euren Arsch freikauft!«
Im orangefarbenen Halbdunkel des halbfertigen Apartments saßen zwei leise atmende Gestalten. Am Boden unter dem Fenster lag ein kleiner Kubus aus weichem weißem Licht direkt auf dem Netjockey und sprühte vor türkisfarbenen Buchstaben.
Inzwischen hatte der Virus ganze Arbeit geleistet. Die Fragmente des imaginären Inspektors flatterten ziellos durchs Netz, schleuderten umher und banden jede schnüffelnde Resonanzroutine an schnell schrumpfende Fetzen von Datenmüll. Im Zimmer zappelten und vermehrten sich unterdessen die winkligen blau-grünen Sequenzen gefangener Daten.
Jogo schaute ihnen zu. Sie hätte zu gerne gewusst, was der Mann anstellte, aber sie wollte ihn nicht fragen. Falls er nicht antworten wollte, wäre er nicht glücklich über ihre Frage. Und wenn sie ihn unglücklich machte, würde er sie unglücklich machen.
Sie sah auf das Display und dann auf ihn. Der Atem rauschte aus ihren Nüstern, sie rieb die Wange an der Schulter. Sie sah, wie er aufblickte und ihre traurige Neugier taxierte. Er schien zu überlegen, wie er reagieren sollte.
»Komm her«, sagte er.
Sie ging zu ihm, duckte sich, damit er sie hinter den Ohren kraulen konnte. »Wir ziehen Tabeas Karteikarte«, fügte er hinzu.
Grant Nichtsweiter war mit sich zufrieden. Er hatte gute Arbeit geleistet. Die frühere Frachtschifferin und eine Ladung Konsumheroin waren dem Vernehmen nach verantwortlich für den Ausbruch an Gewalt neulich in den Docks, als ein Schiff abgelegt und die Polizei das Feuer eröffnet hatte, um es aufzuhalten; der Schaden ging in die Millionen.
Käpt’n Jute wurde noch mehr zur Last gelegt. Auf der Liste des toten Polizisten wurden ihr Verstöße gegen private Sicherheitsvorschriften vorgeworfen sowie schwere
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