Sonnenwanderer
gestorben?«
Sie starrten sie an. Als ob es nicht schon schlimm genug war.
»Sechs Personen sind gestorben«, sagte sie. Der Beauftragte hätte es bestätigen können, aber sie wollte sich nicht auf selbsternannte, aufgeblasene Autoritäten stützen.
Die Spielkrieger sahen einander an, eine gleitende Augenbewegung hin und zurück. Tabea hätte schwören können, dass einer sogar mit den Schultern gezuckt hatte. Eine junge Frau ergriff das Wort. Sie klang heiser, als stünde ihre Stimme auf dem Abstellgleis. »Die dreizehnjährige Marie … Marguerita Pasión … Hester Seasick … Pierre Imberbe …«
Lauter schwarz umränderte Augen, die Blicke ruhten vorwurfsvoll auf Tabea, während die Namen widerwillig über die Lippen der jungen Frau krochen. Jesus, sie waren Kinder, einige zumindest. Sie schienen die Gesichter ihrer alten Weggefährten zu haben, unzufriedene Jugendliche im Gestrüpp über der Erde, in sechs oder sieben Habitaten. Was machte sie so unzufrieden? Ohnmacht, erinnerte sie sich dunkel. Dieses Gefühl von Nutzlosigkeit, das so typisch war für ignorierte Jugendliche. Gaben sie ihr die Schuld? Dachten sie, der Käpt’n hätte sie warnen sollen, dass der richtige Tod unwiderruflich ist? Das Schlimme an ihnen war nicht der Totenkopf, der von ihrem Ohr baumelte, auch nicht das Messer, das in ihrem Gürtel steckte, - das Schlimme war ihre Unschuld.
Der Gedanke, dass sie so viel älter war, gab ihr plötzlich das Gefühl, sie müsse die Hand ausstrecken und ihnen etwas geben.
»Ihr könnt die Maschinen behalten«, sagte sie. Der Katastrophenbeauftragte japste wieder wie ein Zackenbarsch, als Tabea aufstand und ihm die langen Mantelschöße um die Beine schlug. Sie zeigte über ihre Köpfe hinweg auf die Baudrohnen und die riesigen Bagger. »Behaltet alles, was ihr nötig habt, bis alles wieder so hergerichtet ist, wie euch das vorschwebt«, sagte sie. Und zum Zackenbarsch: »Das geht auf meine Rechnung.«
Die Verfechter des Chaos betrachteten sie argwöhnisch. Sie gewahrte Kenny den Schranten, in seinen langen, schrägen Augen blitzte Sarkasmus. Dankbarkeit zu erwarten, hätte ihr ein unverzeihliches Maß an Realitätsverlust bescheinigt. Tabea begann zu frösteln. Alles ringsherum war schrecklich, hässlich, beunruhigend. Sie hustete, wandte sich ab, nahm die Hand hoch und schob sich heimlich eine Pille zwischen die Lippen. Die Pille schmeckte bitter und süß zugleich. Es dauerte nur eine Sekunde, dann wurde Tabea leichter ums Herz. Im lasierten und abgehobenen Universum von Tujong verwandelten sich die Matrixtrümmer in Pappmaschee und wirkten federleicht in den Klauen der Roboter.
Tabea sah das Fläschchen in ihrer Hand und dachte an die Freunde der dreizehnjährigen Marie. Sie schwang auf dem Absatz herum und hielt ihnen die Pillen hin.
Das Manöver war ein bisschen zu auffällig gewesen, die Geste kam ein paar Atemzüge zu spät. Die Jugendlichen betrachteten zynisch die grellbunten Pillen. Keiner rührte sich. Der Rauch einer Zigarette malte eine vertraute geometrische Figur in die mit Kalkstaub geschwängerte Luft.
»Da«, wandte sich Tabea an den Katastrophenbeauftragten. »Gute Arbeit. Nehmen Sie.« Sie drückte ihm das Tujong in die Hand und ging mit wehenden Mantelschößen von dannen. Dem Mann stand der Ekel ins Gesicht geschrieben.
Bimprilik Niszschopuar plinkerte und machte Froschaugen. »Dixti«, sagte sie zu ihrem Mann, »has du an de Einhorn gedacht?«
Dixtimifs Lippen schwollen bedauernd an. »Es friss nich«, sagte er. »Wir nehme de dritte.«
Der Nixo-Zirkus tourte durch die Scheitelkavernen und suchte wie jedes Mal das nächste Engagement. Hinter dem Truck der vespanischen Eigentümer rumpelten die Vans und ihre Anhänger fröhlich dahin, die Glöckchen bimmelten bei jedem Schlenker und jeder Unebenheit.
Bimprilik, die am Steuer saß, sagte: »Enschuldige vielmals, Schatz, mar es is de vierte.«
Dixtimif tat einen skeptischen Schnaufer. »Es is de dritte, seker, oder bleib einfach stehe und lass mich brülle.«
»De dritte is ook gut«, sagte sie versöhnlich und nahm die dritte Abzweigung. Hier schien sonst niemand unterwegs zu sein. Das einzige Licht war die brillierende Phosphoreszenz des Schleims an den Tunnelwänden. Sie blickte in den Rückspiegel, um sich der anderen zu vergewissern, und legte etwas mehr Tempo vor.
»Wenn es nich friss, wird es eingehe«, jammerte ihr Mann.
Bimprilik kannte das schon. »Denn müsse wir es anderes Futter gebe«, blubberte
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