Sonnenwanderer
sie.
Ihr Mann kaute nachdenklich auf den Innenseiten seiner Backen. Er kaute, um das Einhorn zu beeinflussen; hoffte, es durch einfühlsame Magie zum Fressen zu bewegen. Wäre es nach ihm gegangen, er säße jetzt in einem Van. Wäre bei den anderen, bei dem Albino-Menschen und dem zweiköpfigen Altairer. Die streitsüchtigen Kecks dürften über ihn klettern und an seinen schmackhaften Ohrläppchen lutschen.
Das Einhorn war ihre jüngste, aber auch ihre fragwürdigste Errungenschaft. Es war aus dem Dschungel in eine menschliche
Siedlung getrabt, um seinen Kopf in den Schoß eines Mädchens zu legen. Die Eltern hatten darin ein Geschenk des Himmels gesehen und waren mit ihrem verstörten Töchterchen und dem Einhorn zum Zirkus gekommen - das Mädchen hatte das Einhorn geführt, die kleine Hand um das scharfe, spiralförmige Horn gelegt. Bimprilik und Dixtimif hatten fünfzig Skutari gezahlt und über eine Stunde gebraucht, um ihren Neuzugang in den Käfig zu bekommen. Dort hatte das Einhorn klebrige Silbertränen geweint und mit dem langen Horn gegen die Gitterstäbe gefochten. Aber es war stumm geblieben, und das war gut so in Anbetracht von Dixtis Gemütszustand.
Dixtimif presste die Flosse gegen das Beifahrerfenster. »Wenn es rede würde, könnt es uns sage, was ihm schmeckt«, meinte er. »Und wenn se überhaup nich rede könne?«, gab seine Frau zu bedenken. Er war ein sentimentaler alter Kerl, der anfing, an Wunder zu glauben. Sie war seine praktische Hälfte; lief, wo immer sie Halt machten, mit der Trompete herum, lockte die Leute an und prahlte mit ihren Nummern. Wie viel konnte man in diesem Bezirk verlangen? Wo die mutierten Babys vorführen und wo nicht? Auch solche Entscheidungen musste sie treffen … Dixti, sich selbst überlassen, hätte sich den ganzen Tag in den Käfigen aufgehalten und die Exponate verwöhnt, mit ihnen gesprochen und sich mit unzähligen traurigen Seufzern für die Freiheitsberaubung entschuldigt.
In diesem Tunnel gab es gar nichts, keine Gebäude, keine Fahrzeuge, nicht mal einen Fußgänger. Der Verkehr nahm zusehends ab, in beiden Hemisphären. Trotzdem. Bimprilik drückte das Bremsfeld und hielt sanft an. »Willste nich doch mal brülle, Schatz?«, sagte sie einlenkend.
Gewichtig kletterte ihr Mann aus der Kabine. Er würde jetzt zur Hauptstrecke zurückgehen und brüllen. Die Echos würden
ihm erzählen, wo die nächsten, sich bewegenden Körper waren, große Maschinen oder Konzentrationen von Leuten.
Aber Dixtimif ging nur ein kurzes Stück zurück und blieb stehen.
Ein Exponat jaulte, die Kecks kreischten, und jemand rief: »Haben wir uns verfahren?«
»Seid mal still!«, rief Dixtimif nur.
»Du has noch nich gebrüllt, Liebling«, erinnerte ihn Bimprilik.
»Nein«, sagte ihr Mann und kam wieder angeschaukelt. »Komm mal, Bim. Hörste das?« Er faltete den Kopf zurück und blickte nach oben.
Bimprilik legte die Flosse resigniert auf den Türöffner und stieg aus. Sie musste ohnehin pinkeln.
Über ihnen war ein Schacht zu sehen, ein großer, sechs Tesk im Quadrat. Dixtimif stand da, jede Gesichtstasche gebläht, und badete in den akustischen Wellen, die aus dem Loch strömten. Ein hoher Summton, anhaltend und gleichbleibend, der herunterstrahlte, als käme er direkt aus dem Material der Decke.
»Hörste?«
Bimpriliks Ohren wurden runzlig vor Anstrengung. »Ja, Schatz«, sagte sie. »Ich ook.«
Die Schachtwände trugen silberne, wie von einer Kralle geharkte Streifen. Die Menschen lehnten sich aus ihren Vans, riefen Fragen und schienen nichts zu hören. Die Exponate husteten und muhten.
Das greinende Summen dauerte an, gegenstandslos, scharf.
»Sie hat Schmerze«, flüsterte Dixtimif.
Es wurde kühler, und die Kletterpflanzen hatten ihren Glanz verloren. Die Nächte hinterließen schleimige Spuren auf Teppichen und Möbeln, und die Luft war von Sporen geschwängert.
Als ginge eine Art Jahreszeit zu Ende und tauche alles in ein feuchtes, rötlich gelbes Düster. Im Orbit hatte Plenty keine wie auch immer gearteten Stadien durchgemacht und wenn doch, dann hatte es niemand bemerkt. Während des Transits schien es irgendwie gereift zu sein und die Reife überschritten zu haben und jetzt zu vergreisen oder zu verwelken. Es herrschte eine Atmosphäre der Auflösung. Irgendetwas war abhandengekommen und ließ alle an etwas herumfummeln, das nicht mehr da war.
Im guten alten Trivia war noch alles beim Alten. Lady Topaz nippte zusammen mit ihrem treu ergebenen
Weitere Kostenlose Bücher