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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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geworden war. Vielleicht hatte der betroffene Bereich mit der Stimmproduktion zu tun, dachte Tabea verstört. Oder die Egoreste saßen alle achtern im Hinterhaupt fest.
    »Was ist mit deiner Stabilität, Alice?«, fragte Tabea.
    »ABSOLUT ZUFRIEDENSTELLEND, DANKE«, sagte die verfremdete Stimme.
    »Aus deiner Sicht«, sagte Tabea zweifelnd.
    Denn das war nicht Alice. Das war nicht ihre langjährige Freundin und Arbeitskollegin, nicht mehr. Sie machte sich schon lange das Gegenteil vor, sie war eine Närrin. Irgendein exotischer Virus hatte Alice gefressen, die Ego-Platte und alles und redete aus irgendwelchen egoistischen Gründen von Zeit zu Zeit wie Alice. Tabea fiel ein, dass sie auf der Venus nach Alice gesucht hatte. Sie hatte die gesamte Datenverarbeitung ihres zermalmten Frachters auf den Kopf gestellt. Sie dachte an Dodger
Gillespie, die in den Tunneln nach einer Diebin fahndete, die ihr, Tabea, zum Verwechseln ähnlich sah. Plötzlich malte sie sich eine gigantische capellanische Raupe aus, die sich durch das hirnförmige Schiff fraß. Sie meinte zu spüren, wie dieses alles verschlingende Monster von irgendwoher auf sie zurobbte …
    Die Besatzung war verstummt. Es war ungewöhnlich still in der grünen Kuppel. Keine Coladose zischte, keine Taste klickte.
    Der Boden hörte auf zu schwanken, die Brücke sich zu drehen. Tabea wusste nicht mehr, was ihr eben noch durch den Kopf gegangen war. Etwas Dramatisches; weg.
    »Das ganze verdammte Schiff geht in die Brüche«, sagte Tabea. Ihre Leibwächter versteiften sich, forschten in den Gesichtern der Besatzung.
    Sie rief die Nachrichten auf. Die Aufräumarbeiten waren angelaufen, die großen Kass-Roboter schleppten Brocken aus Matrix und Insulit. Die Perspektive machte sie zu Metallameisen, die Brotkrumen transportierten. Sie sah den Katastrophenbeauftragten mit einem Schranten in Matrosenjacke reden.
    Sie erhob sich aus ihrem Sessel. »Okay«, sagte sie resigniert. »Kenny? Auf geht’s.«
     
    Es dauerte ziemlich lange von der Brücke bis zu den äußersten Kavernen achteraus.
    Unterwegs wurden Tabea und ihre Leibwächter von einem zeternden alten Weib angehalten. Sie war steinalt und ausgemergelt, ihre Augen quollen hervor. Ihr Haar war verfilzt und ihr Geruch kaum auszuhalten. »Leid und Zerstörung!«, schrie sie aus vollem Hals. »Die Seraphim haben Luna kassiert!«
    Tabea erinnerte sich an ihren Geburtsort im Meer der Heiterkeit, den Hafen. Kilometer an einförmigen, nüchternen Korridoren randvoll mit kaltem Sternenlicht. Sie stellte sich die
spätmenschlichen Suprematen vor, wie sie lautlos mit riesigen Stahlstiefeln über den lunaren Dauerfrost schritten und die Meeresbecken mit dem weißen Phosphorblick ihrer experimentellen Energien versengten.
    »Luna wird’s ihnen danken«, sagte sie.
    Gab Gas, und weiter ging es.
     
    Eine kleine Gruppe von Ghulen und Touristen guckten nicht schlecht, als ihr Käpt’n und seine Leibwächter in die Kaverne rollten. Kein Hallo und kein Hurra. Hier war das Hinterhaupt. Chaos-Territorium. Jungen und Mädchen im Verstärkerskelett schlugen mit Schwertern aufeinander ein, dass die Stücke flogen; sie hatten Silikon im Schädel und waren süchtig nach virtueller Gewalt. Der Spielstand wurde nach Trophäen und Reaktionszeit gemessen. Als sie herumspazierten zwischen Barrieren, Absperrbändern und provisorischen Starkstromleitungen, da bemerkte Tabea, dass Kenny die Blicke auf sich zog. Man taxierte ihn.
    Das Unglück lag fast einen Tag zurück. Man hatte die Bergungsfahrzeuge zwar abgezogen, aber die Staub- und Rauchwolken hatten sich noch nicht gelegt. Am Ort des Einsturzes waren Baudrohnen hinzugezogen worden, die Kabelstränge zogen, Träger aufrichteten und kleinere Trümmer wegräumten. Einen Mann kannte sie aus endlosen Ratssitzungen, einen gewissen Rykow, Helge Rykow. Er trug ein rotes Barett und leitete irgendwelche Einsätze.
    Der Katastrophenbeauftragte lief grüßend auf sie zu. Seine Worte gingen im Aufjaulen strapazierter Motoren unter.
     
    Die Ortsansässigen saßen verdrossen um lodernde Feuer, rauchten Zigaretten und taten gelassen. Sie schienen allen zu trotzen,
die ihnen Mitleid entgegenbrachten. Sie trugen Plastikanzüge mit geriffelten Gelenken und schwere Stiefel mit Beschlagnägeln und Hightech-Sohlen oder dreckige Overalls, jetzt noch dreckiger, jeder Fleck eine kleine Trophäe. Ihr Haar war lang, ungekämmt und wurde von einem Stirnband gebändigt.
    Tabea ging in die Hocke. »Wer ist

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