Sonst kommt dich der Jäger holen
Manchmal machte mich sein Anblick regelrecht fassungslos. Das sollte er besser nicht merken, er würde es schamlos ausnutzen. »Hey, du bist ja auch ein junges Gemüse mit deinen drei Jahren«, stellte ich fest und hockte mich auf dem schmalen Bürgersteig zwischen zwei Straßencafés vor ihn hin. Grunzend rückte Flipper näher. »Du bist drei und ich dreiunddreißig«, wiederholte ich zärtlich. »Aber bald schon wirst du mich überholt haben.« Ich wollte nicht weiterdenken. Ein Hundeleben ist viel zu kurz. Ich drückte meine Wange an sein seidiges Fell. Ich brauchte niemanden. Ich hatte den besten Freund der Welt. Und es war mir total egal, dass er herb frühstückte, manchmal konnte ich in seinen Hundefutterdosen kleine Geflügelherzen erkennen oder Gurgeln – und ich liebte ihn trotzdem.
3
Das Kloster Andechs, rund vierzig Kilometer von München entfernt, ist vor allem wegen des Biers der Benediktinermönche ein beliebter Ausflugsort. Es liegt auf einem Hügel, und zu seinen Füßen erstreckt sich lang gezogen der Ammersee. Unter dem Höhenweg blitzt grün der Pilsensee, ebenso saftig schimmernd wie der türkisfarbene Wörthsee. Fehlen nur noch der größte und der kleinste See, Starnberger und Weßlinger, um das Naherholungsgebiet mit dem schönen Titel Fünfseenland zu krönen. Es war also durchaus nachvollziehbar, dass ich am nächsten Vormittag hier mal Gassi ging. Dazu hätte ich keine Kommissarsnotizen studieren müssen. Außerdem war ich nun mal ein neugieriger Mensch. Als ich einen Fetzen rot-weißes Polizei-Absperrungsband entdeckte, den der Wind am Rande eines Maisfeldes um die Leiter eines Hochsitzes gewickelt hatte, wusste ich, dass ich auf der richtigen Fährte war. Früher hätte ich auf solche Details nicht geachtet. Wenn man selbst schon einmal Teil eines Falles war, entwickelt man einen Blick für Verbrechen. Oft machen erst die Markierungen einen Tatort als solchen sichtbar.
Am Waldrand neben dem Maisfeld dehnte sich ein Jogger. »Ich an Ihrer Stelle«, sagte er, während er an einen Baum gestützt seine Übungen absolvierte, deren Folgen er bald einem Orthopäden vorstellen würde, »täte meinen Hund nicht frei laufen lassen im Wald.«
»Ich an Ihrer Stelle«, erwiderte ich, »täte den Kopf nicht zum Himmel drehen, wenn der Restkörper zur Erde schaut.«
»Da wird schnell mal scharf geschossen«, warnte er.
»Plötzlich macht es Knack, und ein Halswirbel ist draußen«, ergänzte ich.
Der Mann grinste und richtete sich auf. Er war jünger, als ich auf den ersten Blick geschätzt hatte, noch keine vierzig; die Stirnglatze passte nicht zu seinem faltenlosen Gesicht.
»Nein, im Ernst«, sagte er. »Passen’S auf Ihren Hund auf.«
»Der wildert nicht«, sagte ich meinen Standardspruch im Wald.
»Des mag schon sein«, sagte der Mann. »Aber hier ist kürzlich ein Hund erschossen worden. Sie brauchen natürlich nicht auf mich hören. Zumal ich dagegen bin, dass Hunde frei laufen. Jedenfalls will ich es Ihnen gesagt haben.«
»Hier wird überhaupt gern geschossen?«, fragte ich.
»Wie meinen’S des?«
»Hat es nicht erst vor ein paar Tagen in dieser Gegend«, das Bild des Toten aus Felix’ Notizbuch erschien vor meinem inneren Auge, »einen Jagdunfall gegeben?«
»Aber neugierig samma ned?«
»Und Sie ein echter Menschenkenner«, grinste ich.
»Sackradi! Sie gfallen mir!« Der Mann streckte die Hand aus. »Sepp Friesenegger«.
Ich ergriff sie: »Franza Fischer«. Flipper nahm in formvollendetem Sitz neben mir Platz.
»Schöner Kerl«, sagte Sepp Friesenegger. »Aber riesig. Des is ja ein halbes Pony.«
»Nein, ein ganzer Hund.«
Er lachte. »Und was ist er für eine Rasse?«
»Von jeder nur das Beste«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
»Also steckt auch ein Jagdhund drin, weil Jagdhunde überhaupt die Besten sind«, behauptete Sepp Friesenegger. »Und dann rennt er hinter dem Wild her, solange er nicht ausgebildet ist. Ham Sie schon mal ein hechelndes Reh gesehen? Oder eines, das der Hund erwischt hat? Ist kein schöner Anblick, aufgeschlitzt, und die Gedärme hängen raus. Vielleicht is des Viech damit noch gerannt in Todesangst und hat die Därme hinter sich hergeschleift, und dann sind sie irgendwo hängen geblieben an einer Wurzel und …«
»Warum müssen Sie und Ihresgleichen immer so drastisch sein!«, entfuhr es mir.
»Ich bin nicht drastisch, sondern realistisch. Ich hab nun mal genug totgehetztes Wild gesehen und schwangere Geißen mit zwei, drei Kitzen im
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