Sonst kommt dich der Jäger holen
in der Nähe von Andechs. Es freute mich, dass der Kommissar an der frischen Luft ermittelte. So ein Beamter darbt viel zu oft in seinem Büro. Das glaubt man als normale Fernsehkrimiguckerin gar nicht, wie viel die in ihren Büros hocken und recherchieren.
Gerd Jensen war an einem Lungendurchschuss gestorben. Höhe passt , hatte der Kommissar vermerkt, Ein- und Austrittswinkel von schräg oben nach unten. Ich überlegte, was das bedeuten sollte. Einige Zeichnungen schienen den Tathergang zu betreffen. Waren das Bäume – oder war es Gekritzel? Dann stand da noch Abpraller? Ferner gab es drei Fotos des Toten. In Embryostellung lag er im Gras, hellrotes, schaumiges Blut bedeckte seine Brust. Eine Nahaufnahme zeigte ein kleines Einschussloch an seiner lodengrünen Weste. Auf dem dritten Foto sah ich das Opfer von hinten. In seinem Rücken klaffte ein Krater. Mir wurde flau. So ein großes Loch gehörte in keinen Rücken. Und so ein Foto gehörte nicht auf den Küchentisch eines Vaters. Felix’ dreijährige Tochter übernachtete gelegentlich bei ihm. Nein, das war kein Mann für mich, und ich wollte ihn ja ohnehin nicht. Franza Fischer war glücklicher Single und gedachte das auch zu bleiben. Tock, tock, tock, klopfte Flippers Rute zustimmend.
2
Tock, tock, tock, klopfte ich drei Stunden später an die Bürotür von Enzo, der mich zu sich zitiert hatte. In Enzos Schwabinger Bodytempel gab ich seit Jahren Kurse in Yoga, Osteoporose-Gymnastik und Selbstverteidigung. Mir schwante nichts Gutes. Der Tag hatte beschissen begonnen, er würde beschissen weitergehen.
»Ciao Bella«, begrüßte Enzo mich mit drei Küsschen auf die Wange und »Ciao Bello« Flipper, der gefühlte fünf Minuten geknuddelt wurde. Daran war ich gewöhnt. Viele Leute behandeln mich wie Flippers Anhängsel; es gibt Unangenehmeres.
Enzo setzte sich hinter seinen Schreibtisch, auf dem bequem ein Hubschrauber hätte landen können. »Franza! Wenn du haste Probleme, eh, du musste mit mirä sprächen. Non cia vere paura.«
»Probleme?«, fragte ich.
Enzo rieb Zeigefinger und Daumen aneinander.
»Ich habe keine Probleme«, sagte ich.
Enzo schnalzte mit der Zunge. »Ich will ganzä offen spräche. Du biste zu teuer für meine Studio, wenn ich haben junge Mädchen für die halbe Preise. Bittä. Bleib sitzen, Bella!«
Ich blieb aber nicht sitzen. Dafür blieb Flipper sitzen. Leckte sich in aller Gemütsruhe die linke Pfote. Und zwar mit einer solchen Hingabe, dass sowohl Enzo als auch ich ihn irritiert anstarrten. Dann fiel der Groschen bei mir.
»Weißt du Enzo, du magst recht damit haben, dass ich eine deiner teuersten Trainerinnen bin. Aber, mit Verlaub: Ich bin auch eine der besten. Zudem arbeite ich schon lange für dich. Insofern steht mir ein Treuebonus zu. Und außerdem bezahlst du mich nach dem Two-in-one-Prinzip.«
Enzo zog eine Augenbraue hoch. »Was ist das, he?«
»Du hast zwei Trainer in einem.«
»Ich seh dich nur eine Male, Franza. Und ich habe heute schon eine Grappa gehabt. Wieso soll ich zahlen für diche mehr als für die gleiche Show von andere Mädchen, he? Ich bin eine Geschäftsmann, ick musse macken Kalkulatione, eh! Auch wenn du haste neue Haare.«
Ich hatte keine neuen Haare. Ich war noch immer saharablond, schulterblattlang. Und Flipper rabenschwarz.
»Was glaubst du, wie viele deiner Mitglieder das Studio wechseln, wenn Flipper als Co-Trainer kündigt? Denk mal darüber nach, Enzo«, riet ich ihm, schnippte mit den Fingern, Flipper sprang auf, und wir verließen Enzos Flugplatz. Ich hatte mich weit hinauf gewagt, und vielleicht würde ich abstürzen mit meiner hochfliegenden Fantasie einer Unterschriftenaktion: Rettet Flippers Arbeitsplatz! Doch meine Kurse waren ausgebucht; Neumitglieder fragten, bevor sie einen Vertrag unterschrieben, nach der Bekämpf-den-inneren-Schweinehund-Strategie des vierbeinigen Spezialisten. Sie fragten nach dem Motivator, der müde Waden zärtlich zwickte und nach dem erbarmungslosen Auspeitscher, dessen Rute nimmermüde all jene traf, deren Schweiß nicht in Strömen floss.
»Hallo, Franza, hallo, Flipper«, grüßte mich eine der neuen Trainerinnen, die für die Hälfte meines Stundenlohns arbeitete. Ich hatte ihren Namen schon wieder vergessen. Irgendwie sah das ganze junge Gemüse gleich aus.
»Was sagt uns das?«, fragte ich Flipper. Er war schon vorausgerannt auf die Leopoldstraße, blieb stehen und schaute mich mit schräg geneigtem Kopf an. Was für ein schöner Hund. Meiner!
Weitere Kostenlose Bücher