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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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bemerken. Ein Glas fiel zu Boden.
    »Mist!«, fluchte er, »warte«, und kehrte die Scherben mit seinem Kopfkissen unters Bett. Dann klopfte er Flippers Flanke. Und zeigte mir, dass es auch gute Ansätze in seinem Charakter gab. Flipper grunzte und spulte die ersten paar Unterrichtseinheiten des Kommunikationstrainings ab, das Enzo im letzten Jahr für sein Personal spendiert hatte. Kundenzufriedenheit, Serviceorientierung, Konfliktmanagement. Wie so oft in Flippers Gegenwart interessierte sich niemand mehr für mich. Benny saß auf dem Bett und kraulte Flipper. Tränen strömten über sein Gesicht. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, verstand ich ihn. Ein Leben ohne Hund ist kein Leben. Benny hatte viel nachzuholen. Ich mischte mich nicht ein. Manche Dinge sind bei Hunden besser aufgehoben. Und vielleicht war Flipper von Anbeginn für diese Beichte vorhergesehen, vielleicht war das alles ohnehin sein Fall. Und ich bloß sein Anhängsel an der langen Leine. Wir Menschen, wir wissen so wenig.
    »Die Walli und ich«, erzählte Benny dem Flipper und nahm einen großen Schluck aus seiner Wodkaflasche, »wir haben die Laika von einer Kette abgemacht in Griechenland. Die Walli wollte zuerst nicht. Weil wir doch überall arme Hunde gesehen haben, und wir waren schon auf dem Weg zum Flughafen. Ich habe angehalten und die Laika abgemacht. Die stand allein an einer Straße, an einem Pflock. Sie hatte kein Wasser, vor ihr eine verrostete Fischdose, leer. Sie war halb verdurstet, halb verhungert. Die Kette war in ihren Hals reingewachsen. Es war so schlimm, dass die Walli zuerst gedacht hat, man müsste sie einschläfern. Ich wollte, dass wir sie mitnehmen.«
    »Also war sie quasi euer Hund?«
    »Nein, natürlich nicht. Es war ihrer. Es war immer alles der Walli ihrs. Wie wir klein waren, hat sie das tolle Spielzeug gehabt, und sie hatte eine Mutter und einen Vater, nicht bloß eine Mutter, die nie da war. Bei ihr war alles immer super.«
    »Aber wenn du so oft bei denen warst, warum bist du jetzt so wütend auf den Franz Brandl?
    »Weil, weil …«, schwer schnaufte er, vergrub sein Gesicht an Flipper und flüsterte in sein Fell, »weil ich kein echter Kerl war.« Er schaute mich an, ließ den Blick zum Fenster schweifen und sagte mehr zu sich denn zu mir, so als müsste er das noch unzählige Male wiederholen, um es zu begreifen: »Und als ich ihm das Gegenteil bewiesen habe, hat er es nicht kapiert, und als er es endlich begriffen hat, hat er nichts damit zu tun haben wollen.«
    »Ein echter Kerl rächt den Tod des Hundes?«, fragte ich.
    Benny schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hat er auch rausgeschmissen.« Wie zur Bekräftigung nahm er noch drei große Schlucke Wodka.
    Ich wollte nachfragen, was er damit meinte, als er nach hinten kippte und die Bettdecke über sich zog. Nur noch sein blonder Haarschopf lugte hervor. Flipper hielt ihn schön feucht.
    Ich musste Franz Brandl recht geben. Ein echter Kerl sah anders aus. Aber auch Franz Brandl war kein echter Kerl. Womöglich hatte er die Tatwaffe, ob wissentlich oder nicht, in seinem Haus versteckt. Womöglich war ihm erst vorhin eingefallen, dass Benny den Mord begangen hatte. Oder er wusste es seit Langem. Das herauszufinden war nicht meine Aufgabe. Der Napf war leer. Benny Ludewig hatte den Jäger erschossen, um Franz Brandls Anerkennung zurückzugewinnen, die er seit dem Tod von dessen Tochter in seinem Auto verloren hatte.
    Benny regte sich nicht, als ich die Waffe mit einem Geschirrtuch, das über dem zweiten der grünen Biergartenstühle hing, an mich nahm. Kalt fühlte sie sich an und begann sofort zu glühen in meiner Hand. Unter der Bettdecke sah ich Bennys Schultern zucken. Mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger wies ich auf die Fensterbank und sagte leise »hopp«. Flipper nahm Anlauf und sprang. Keine Reaktion von Benny. »Ab«, befahl ich. Flipper verschwand aus meinem Blickfeld. Ich atmete auf.
    »Servus, Benny«, verabschiedete ich mich und hängte mir die gut verpackte Oboe an die Schulter. Wegen ihr und dem heiß-kalten Ding in meiner Hand, das jederzeit losgehen konnte, verließ ich das Haus durch die Eingangstür. Die Klinken fasste ich mit einem Zipfel des Geschirrtuches an. Keine Fehler. Franza Fischer war nie hier gewesen.
    Im Garten begrüßte Flipper mich begeistert.
    »Weg!«, zischte ich nervös. Wenn sich ein Schuss löste! … Wohin mit dem Zeug … Am besten in mein Auto. Abschließen. Waffen müssen immer eingesperrt sein. Sonst macht man

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