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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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mit zum Training genommen hat, und dann seine Hündin …«
    »Franza, ich diskutiere jetzt nicht mit dir darüber, was Elmar und Carina Flipper beigebracht haben könnten und ob das versehentlich oder absichtlich geschehen wäre. Ich komme jetzt. Also bleib, wo du bist. Lauf nicht wieder weg.«
    »Nein.«
    »Warum bist du gestern überhaupt verschwunden?«, wollte er wissen.
    »Flipper musste dringend raus«, behauptete ich.
    Schweigen. Dann fragte er: »Wo bist du überhaupt genau?«
    »Das weißt du doch schon, du weißt doch sowieso immer alles.«
    Schweigen.
    »Am besten du gibst Wilder Hund ins Navi ein.« Ich bemühte mich, ahnungslos zu klingen. »Ich glaube, so heißt hier ein Aussichtshügel oder eine Wanderroute. Ein Gasthaus gibt es auch. Ich habe vorhin ein Schild gesehen. Dann links über den kleinen See zum Höhenweg. Da warte ich. Es ist nicht weit bis zu der Stelle.«
    »Leider weiß ich ziemlich genau, wo du bist, Franza. In dreißig Minuten bin ich bei euch. Du kannst die Zeit bis dahin nutzen, dir eine plausible Erklärung auszudenken, warum du da bist, wo du bist.«
    Er beendete das Gespräch ohne Gruß und hörte deshalb meine Antwort nicht.
    »Damit ich da bin, wo du bist.«
    Und das war ganz in meinem Sinn.
    Wie Rotkäppchen stand ich im Wald und wartete auf den bösen Wolf. Heiß blies Flippers Atem an meine Hand. Ich setzte mich neben ihn auf einen Baumstamm, den die noch immer kräftige Septembersonne heizkissenwarm bestrahlt hatte, und dachte nach. Felix würde mir nicht glauben, wenn ich behauptete, zufällig in dieser Gegend spazieren gegangen zu sein. Aber war das nicht genau das Kennzeichen des Zufalls? Flippers Waffenfund hatte mir die Tarnkappe vom Kopf gerissen. »Du bist schuld«, ließ ich ihn wissen.
    Flipper schaute mich konzentriert an. »Okay«, nickte ich bedächtig, während ich mit zunehmender Erkenntnis seine Brust kraulte. Da ich mit dem Kommissar bekannt war, hatte ich auch Zugang zu seinem morphogenetischen Feld. Meiner Überzeugung nach trägt jeder Mensch dieses Feld mit sich herum, beziehungsweise hat Zugang dazu. Es ist eine Art Aura, aus der wir mehr lesen können, als wir bewusst wahrnehmen. Somit könnte ich intuitiv gespürt haben, wo sich Felix’ Gedanken bewegten und, ohne es zu wissen, genau dort spazieren gegangen sein. So musste es gewesen sein. Aber ob der Kommissar mir das glauben würde?

5
    Die Art, wie Felix aus dem schwarzen BMW stieg, die Tür zuknallte, mit geschmeidigen, kraftvollen Schritten in meine Richtung lief ohne zu lächeln, zeigte deutlich: Dies war kein privates Tête-à-tête. Aber ich würde mich nicht einschüchtern lassen. Ich hatte einfach nur einen Fund gemeldet. Er musste mich wenigstens höflich behandeln; als Steuerzahlerin war ich praktisch seine Arbeitgeberin.
    Die Beifahrertür öffnete sich. Moppelchen, schoss es mir durch den Kopf. Die hatte ich ganz vergessen. Felix’ Kollegin Claudia von Dobbeler: die Vegetarierin mit den Wurstsemmeln. Felix hatte das bei einer unserer ersten Begegnungen sehr lustig gefunden, damals, als ich noch nicht einmal seinen Vornamen kannte, bloß den Herrn Hauptkommissar Tixel. Doch es war ein Mann, der da ausstieg, junges Gemüse wie die Mädchen in den Fitnessstudios. Ob der überhaupt schon volljährig war? Beine wie ein Fohlen, lang und dünn, ein schlaksiger Gang. Alles an ihm wirkte unfertig, selbst seine blonden Haare, die zwar dicht wuchsen, doch farblos an zu kurz aufgebackene Semmeln erinnerten.
    Auf den letzten Metern zu mir verschränkte Felix die Arme vor der Brust. Er wollte mir nicht mal die Hand schütteln. Flipper ließ sich von Felix’ rüpelhaftem Benehmen nicht irritieren, sondern begrüßte ihn begeistert, indem er an ihm hochsprang. Flipper springt niemals an jemandem hoch. Das ist absolut verboten. Bei Welpen finden das die meisten Leute süß, doch Welpen wachsen. Und wenn einem dann ein freundlicher Riese die Pfoten auf die Schultern legt, die lange, feuchtwarme Zunge ausfährt und einem genüsslich quer über das Gesicht schleckt, nennen das nur noch wenige süß, sauer wie sie sind. Anspringen ist tabu. Das weiß Flipper. Wenn man es ihm allerdings beibringt, indem man sich seinen Lieblingsball unter die Achsel klemmt und ihn damit regelrecht verrückt macht …
    »Vorsicht!«, rief der junge Mann.
    Felix stieß Flipper mit einem Kampfschrei – der gehörte zum Spiel, das die beiden vor Kurzem einstudiert hatten – vor die Brust, was Flipper begeistert quittierte.

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