Sonst kommt dich der Jäger holen
um ihm »auf einer anderen Ebene« zu begegnen. »Du musst mal bei ihm übernachten. Mit ihm frühstücken. Alltag zelebrieren. Nicht nur immer diese Exzesse. Mit diesem Muster lauft ihr beide voreinander weg, das ist geradezu klassisch: angstbesetztes Vermeidungsverhalten.«
»Sollte er seinen Tag mit Wurst beginnen, will ich nicht mal mit ihm befreundet sein.«
Andrea prustete laut heraus.
Ich rechtfertigte mich: »Ein Mann, der herb, rustikal, bitter oder sauer schmeckt, passt einfach nicht in mein Beuteschema.«
Ich war aufgeregt gewesen, als ich gestern Abend in einem nigelnagelneuen roten Sommerkleid, oben eng, unten Glocke, zum Sonntagsgeläut einer Kirche bei Felix klingelte. Normalerweise trage ich lieber Hosen. Aber er hatte schließlich auch gekocht. Pasta. Da passt ein Kleid einfach besser. Wenn ich von den erotischen Zwischenfällen im Flur und im Keller absah, war es ein fast normaler Abend. Kurz nach sechs, ich hatte wenig geschlafen in dieser Nacht, klingelte das Telefon neben seinem Bett. Das gefiel mir nicht. Privat ist privat. Angeblich hatte er bis Montagmittag frei. Seine Stimme klang auch nicht mehr nach Dämmerlicht, sondern dienstlich.
»Tut mir leid, Franza, ich muss gleich weg.«
»Aber wir wollten frühstücken!«, quengelte ich.
»Ich bin Polizist. Das weißt du. Verbrechen geschehen nicht pünktlich Montagmorgen zum Dienstantritt und werden Freitagnachmittag zum Wochenende gelöst.«
»Und das ist dir wohl jetzt auch recht?«
Versöhnlich lächelte er mich an. »Du kennst mich nicht besonders gut.«
»Nein«, stimmte ich zu. »Wir ficken nur.«
»So würde ich das nicht nennen.«
Felix schlug die Decke zurück und ging ins Bad. Ich warf einen letzten Blick, wie ich mir schwor, auf seine muskulöse, v-förmige Figur. Erwartete er, dass ich jetzt Kaffee kochte? Den er im Stehen runterkippen würde und Tschüss? Wie sahen die Pflichten einer Kriminalhauptkommissarsfreundin aus? War das die Rama-Idylle, nach der ich mich zwei Tage vor meiner Menstruation hin und wieder heimlich sehnte? Nein, es war ein Albtraum, und ich sollte mich glücklich schätzen, aufgewacht zu sein. Ich war nicht auf der Welt, um auf einen Mann zu warten. Ich hatte mein eigenes Leben. Nach meinen Regeln.
Ich zog mich an und mahnte Flipper, der im Wohnzimmer wie verrückt wedelte, zur Ruhe. Er hasste es, eingesperrt zu sein, aber es war nötig gewesen. Kann man sich vor seinem Hund schämen? Man kann.
Auf leisen Sohlen verließen wir die Wohnung.
Von der Rothmundstraße in der Isarvorstadt, wo Felix seit der Trennung von seiner Frau und seiner kleinen Tochter lebte, bis zu mir in die Au waren es zu Fuß zirka fünfzehn Minuten. Nach fünf Minuten tastete ich nach meinem Handy. Nicht, dass ich glaubte, er hätte mich angefunkt. Den Akku wollte ich kontrollieren. Und auch zu Recht, wie ich feststellte, denn das Handy war nicht da, wo es hingehörte.
Sollte ich zurückgehen und bei ihm klingeln? Du, äh, ich hab mein Handy bei dir vergessen, sorry. Und den wahnsinnig wichtigen Kommissar davon abhalten, die Welt zu retten? Diese Schuld würde ich nicht auf mich laden. Ich ließ mir zehn Minuten Zeit für den Rückweg. Sein Wagen stand erwartungsgemäß nicht mehr auf seinem Parkplatz. Als verantwortungsvolle Bürgerin, die polizeiliche Ermittlungen keinesfalls behindert, schnappte ich mir Felix’ Ersatzwohnungsschlüssel aus dem Keller. Das Versteck kannte ich seit unserer Gassirunde mit Flipper gestern Abend, als Felix feststellen musste, dass er den Schlüssel in der Wohnung hatte liegen lassen, was mir schmeichelte. War er etwa nervös gewesen?
In Felix’ Wohnung schickte ich Flipper los, mein Handy zu suchen. Ich selbst blieb diskret im Flur. Doch dann wollte ich noch einmal durch die Wohnung streifen und mir alles einprägen, damit ich es gründlicher vergessen konnte. Je mehr ich mir einprägte, desto besser.
Das Notizbuch des Kommissars zog mich magisch an. Man konnte ja mal schauen. Unverbindlich. Beim Blättern hielt ich die Luft an. Bloß keine Speicheltropfen oder Hautschuppen hinterlassen. Auf die grüne Beate Maierhöfen folgte Gerd Jensen, 56. Jagdunfall? Selbstmord? Mord? Dieser letzte Eintrag in dem Büchlein, datiert auf gestern, betraf den aktuellen Fall des Kommissars, der mich von meinen eigenen Ermittlungen – ob Wurst oder Marmelade – abgehalten hatte. Im Vergleich zu anderen Seiten war hier nichts durchgestrichen, die meisten Fragen offen. Ich studierte die Wegskizze zum Tatort
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