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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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heben das Grab einige Meter vom Schuppen entfernt zwischen Villa und Seeufer aus. Das Grundstück ist zur Straße hin von einer mannshohen Mauer geschützt. Die Nachbarn müßten eine Leiter aufstellen, um sie zu sehen. Der Boden ist trockener als im Wald, was die Arbeit erschwert. Sie rammen die Spaten in die Erde, drücken sie mit den Hacken tief hinein, sie sind wütend auf den Tod. Die Sterne verstecken sich hinter der Wolkendecke. Vor zwei Tagen war alles anders. Da war der Himmel ein nächtliches Fest. Sie saßen in Dekken vermummt auf der Terrasse, starrten in die Nacht hinauf, und Frauke sah ihre erste Sternschnuppe.
    Zwei Tage wie zwei Jahre wie zwei Jahrzehnte und mehr.
    Als sie nicht mehr über den Grubenrand schauen können, heben sie die Leiche aus dem Kofferraum. Sie denken nicht daran, sie aus dem Schlafsack zu nehmen. Müde, erschöpft und noch immer betrunken taumeln sie unter dem Gewicht auf das Grab zu. Der Schlafsack fällt mit einem raschelnden Seufzen in die Tiefe. Sie schauen zufrieden auf ihn hinab, aber schon nach wenigen Sekunden bereuen sie es, die Leiche nicht aus dem Schlafsack geholtzu haben. Das Scharren von Erde auf Nylon. Sie wünschen sich, sie hätten keine Ohren. Sie beginnen, schneller zu schaufeln. Die Spatengriffe sind rutschig vom Schweiß und den aufgeplatzten Blasen an ihren Händen. Das Scharren verstummt endlich. Sie schaufeln weiter und versuchen, nicht zu denken, sie wollen diese Arbeit erledigen und dann vergessen. Und würde jetzt jemand vortreten und sie fragen, ob sie eigentlich wüßten, was sie da tun, dann wäre ihre ehrliche Antwort, daß sie genau wüßten, was sie da tun. Keine Alibis, keine Ausreden. Der Alkohol tut nichts zur Sache. Ihr Plan ist perfekt. Beim Frühstück werden sie erzählen, daß sie die Leiche wieder in den Wald gefahren haben. Kris wird sagen: Zum Glück hat sich mein kleiner Bruder das mit der Ethik anders überlegt. Und der kleine Bruder wird verlegen grinsen und sich bei Frauke und Tamara entschuldigen, daß er solch einen Mist verzapft hat.
    Als sie die Erde über dem Grab glattstreichen, fallen die ersten Regentropfen. Es ist das Beste, was ihnen passieren kann. Sie schauen hoch, sie lächeln. Minuten später erinnert nichts mehr an ein Grab. Schlamm spritzt hoch, und ein sattes Donnergrollen wälzt sich träge durch den anbrechenden Morgen.
    Sie holen die Schubkarre aus dem Schuppen und fahren die überschüssige Erde zum Seeufer hinunter. Während sie zwei Schubkarren voll in den Kleinen Wannsee kippen, schweifen ihre Blicke immer wieder auf die gegenüberliegende Uferseite. Alte Leute schlafen ja bekanntlich wenig, aber auch wenn die Belzens wach wären, könnten sie schwer irgend etwas durch den dichten Regen hindurch erkennen. Nein, sie sind sicher.
    Nachdem auch der letzte Erdrest im Kleinen Wannsee gelandet ist, spülen sie Spaten und Schubkarre am Ufer aus und stellen sie in den Schuppen. Seite an Seite kehren sie in die Villa zurück. Sie sind völlig durchnäßt, sie sind nicht mehr betrunken, sie sind nur noch müde. Schweiß und Regen, das Zucken von Muskeln, die wunden Handflächen. Und dann die Kälte. Sie hat nichts mit der Kälte um sie herum zu tun. Diese Kälte steckt tief in ihrem Inneren, wie ein Schmerz, der nach allen Seiten ausstrahlt.
    Sie ziehen ihre nassen Sachen direkt hinter der Eingangstür aus und lassen sie liegen, weil sie den Dreck nicht durch die ganze Villa schleppen wollen. Sie reden nicht, denn es gibt nichts zu sagen.Nackt laufen sie nach oben und verschwinden in ihren Zimmern. Sie sind zu erschöpft, um sich zu waschen. Als Wolf sein Bett erreicht, kriecht er unter die Decke und fällt in einen tiefen Schlaf. Kris braucht etwas länger. Er rafft die Decke um sich zusammen und liegt für Minuten einfach nur erschöpft da. Und lauscht dem Regen und sieht die Blitze des Gewitters lautlos über die Zimmerdecke zucken und hört die Wind böen an den Fenstern rütteln und denkt, daß es endlich vorbei ist.
    Endlich.

DU
    Wind. Gewitter. Die schmale Flucht der Wolken am Horizont, Donnergrollen und dann das sanfte Fallen des Regens. Du stehst am offenen Fen ster, ein Blitz erhellt dein Gesicht und läßt dich an die Jungen denken. Butch Cassidy & Sundance Kid . Sie waren neun Jahre alt, als sie den Film das erste Mal sahen. Es gab nie einen Streit darüber, wer von ihnen wer war. Sie schauten sich den Film achtmal an und kannten danach die Gesten und Sprüche auswendig.
    In den darauffolgenden Monaten

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