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SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

Titel: SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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relativ schnell, dass mündliche Beteiligung am Unterricht sowohl ihm selbst als auch seinen Mitschülern dann am meisten bringt, wenn nicht alle gleichzeitig und spontan durcheinanderreden. Er wird, wenn er das verinnerlicht hat, nur dann reden, wenn der Lehrer nach Aufzeigen sagt, dass er »dran« ist. Ich kann es nicht oft genug betonen: Das ist kein Gehorsam, sondern es zeigt Gespür für die Situation.
    Äußere Regeln wie »reden nur nach Aufzeigen« macht sich ein Kind mit entsprechendem Entwicklungsstand schnell zu eigenen Regeln. Man spricht dann von »Internalisierung«. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Kindergarten, wo die Regeln immer und immer wieder aufgezeigt werden müssen. Eine Internalisierung findet hier nur langsam und in begrenztem Maße statt.
    Langsam, aber sicher üben Schulkinder auf diese Weise also Gesprächsregeln ein, die sie auch als Erwachsene brauchen werden, um in Diskussionen die eigene Meinung zu vertreten und es weiteren Diskussionsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Meinung ebenfalls ungestört zu äußern.
    Gleiches gilt für andere Verhaltensweisen. Ein siebenjähriger Grundschüler ist fähig, während der Unterrichtsstunde auf seinem Platz sitzen zu bleiben, und rennt nicht spontan durch die Klasse. Weil der Lehrer als Bezugsperson Orientierung bietet, sind Grundschüler in der Lage, auch Aufgaben zu erledigen, zu denen sie eigentlich gerade keine Lust haben. Wer diese Fähigkeit mit dem negativ konnotierten Begriff »Disziplin« belegen möchte, kann das tun. Das ändert aber nichts daran, dass soziales Miteinander als Grundlage jeder Gesellschaft wohl kaum möglich ist, wenn alle durcheinanderlaufen, gleichzeitig ihre Meinung in die Gegend schreien und die Mitmenschen im Sinne ihrer »freien« Entwicklung ignorieren.
    Ein sieben- oder achtjähriger Grundschüler wird seine Hausaufgaben also beispielsweise nicht deshalb erledigen, weil er »verstanden« hat, dass er ohne das durch die Aufgaben eingeübte Wissen später nicht weiterkommt. Die Hausaufgaben werden für die Lehrerin oder den Lehrer erledigt, spätestens ab der zweiten Klasse ist vor allem der Klassenlehrer oder die Klassenlehrerin für die Kinder »das Gesetz«. Schulfähigkeit kommt in diesem Sinne von innen heraus. Ich werde später darauf zu sprechen kommen, welche Folgen es für die Schüler hat, wenn der Lehrer in modernen Konzepten nicht mehr als Orientierung im Vordergrund steht, sondern nur noch Lernbegleiter im Hintergrund sein soll.
    Wie stark ein schulreifes Kind sich automatisch am Lehrer oder der Lehrerin orientiert und sogar das Eingreifen der Eltern als störend empfindet, lässt sich an einer kleinen Anekdote zeigen, die mir ein Bekannter erzählte. Seine damals sechsjährige Tochter kam nach ein paar Wochen in der ersten Klasse mit Mathematikhausaufgaben nach Hause, setzte sich diszipliniert hin und erledigte, was die Lehrerin für den nächsten Tag aufgegeben hatte. Der Vater, voll guten Willens, seine Tochter zu fördern, schlug ihr vor, doch einfach die letzte Aufgabe, die unten auf der Seite des Mathebuchs stand, zur Übung auch noch zu erledigen. Zu seiner Überraschung brach das Mädchen spontan in Tränen aus und schluchzte: »Das hat unsere Lehrerin aber nicht gesagt …«
    In diesem Moment erkannte der Vater, dass die Vorgabe der Lehrerin für das Kind unbewusst »Gesetz« war. Die klar formulierte Aufgabenstellung sorgte für Struktur und Sicherheit, die Abweichung, die der Vater unbewusst und gut gemeint provozieren wollte, für Irritation und Unsicherheit. Genauso groß wäre die Unsicherheit übrigens gewesen, wenn die Lehrerin gesagt hätte: »Sucht euch aus, ob ihr nur die eine Aufgabe machen wollt oder die nächste auch noch.«
    Man sieht an diesem Beispiel sehr schön, wie sich das »soziale Sichtfeld« des Kindes erweitert. Es kann jetzt differenzieren: Die Lehrerin gilt für die schulischen Belange als erste Autorität, die Eltern sind nachgeordnet.
    Doch nicht nur das soziale Sichtfeld erweitert sich in diesem Alter, auch die Interessen nehmen zu. Gesellschaftliche Zusammenhänge und Abläufe rücken ins Blickfeld des Kindes, es fordert von den Bezugspersonen Erklärungen ein, wenn es etwas nicht versteht. Die Eltern merken das an allen möglichen Alltagssituationen. Kinder interessieren sich jetzt beispielsweise dafür, wie das bei der Bank mit dem Geld funktioniert, wo die Brötchen beim Bäcker herkommen oder wie die Post das mit den Briefen und Paketen macht.
    Zu

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