SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
zu verhindern.
Noch eines möchte ich betonen: Mir geht es nicht um Schuldzuweisungen! Viele dieser Denkverbote entstehen unbewusst und entwickeln mit der Zeit eine große Eigendynamik. Wir sollten uns aber der Möglichkeit des eigenständigen Denkens, das ein Ergebnis unserer entwickelten Psyche ist, bedienen und immer wieder hinterfragen, was Wissenschaft und Politik uns als gegeben vorsetzen. Nicht nur in der Bildungspolitik, aber vor allem auch dort. Denn es geht um nichts Geringeres als um die Zukunft unserer Gesellschaft und damit um unser aller Zukunft.
Wenn das Denkverbot nicht mehr auszuhalten ist – Klartext von Lehrern
Ähnliche Probleme wie in Deutschland existieren in allen westlichen Wohlstandsgesellschaften. Vor einiger Zeit schickte mir ein Bekannter aus Österreich das Protokoll einer Debatte zum Thema Volksschule, die im April 2013 in Wien stattfand. Bei der österreichischen Volksschule handelt es sich um eine Schulform, der in Deutschland in etwa die Grundschule entspricht. An dieser Debatte nahmen Vertreter der großen politischen Parteien und verschiedener Schulen teil, darunter mehrere Direktoren von Volksschulen. Auch die zuständige Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur nahm sich die Zeit, um der Veranstaltung beizuwohnen. Es lohnt sich, das Beispiel hier aufzunehmen, da die Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich in diesem Bereich marginal sind.
Es ist bemerkenswert, wie deutlich vor allem Lehrer werden, wenn man sie ehrlich nach ihrer Meinung zum herrschenden Schulsystem fragt und direkt aus der Praxis erzählen lässt. So berichtet laut Protokoll einer der Direktoren über die aktuelle Entwicklung:
»Dieser Spagat, den wir Volksschullehrerinnen und -lehrer seit Jahren machen müssen, wird immer größer. Ich erlebe junge Kolleginnen, die seit drei, vier Jahren unterrichten, die sich in der Klasse aufreiben und dann zu Mittag weinend bei mir sitzen. Ich suppliere [österreichischer Ausdruck für das Abhalten von Vertretungsstunden] jedes Jahr zwischen 100 und 150 Stunden, das heißt, ich bin an der Basis, in bin in der Klasse. Ich bin nach einem Vormittag in einer Klasse mit drei integrierten Vorschülern, mit zwei Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, mit Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen und -rückständen und mit den üblichen Verhaltensauffälligkeiten – und das sind alles liebe Kinder, ich sage das jetzt auch noch einmal – schweißgebadet und fertig für den Tag.«
Aussagen, die zu denken geben müssen: Junge Lehrerinnen gehen in ganz normalen Unterrichtsstunden so sehr an ihre persönlichen Grenzen, dass es zu Tränenausbrüchen führt. Der Direktor, der lange Jahre Unterrichtserfahrung haben dürfte und auch aktuell durch die Vertretungsstunden sehr nah an den Schülern »dran« ist, spürt den gleichen Druck so sehr, dass er sich schließlich »fertig für den Tag« fühlt. Bemerkenswert auch: Die Rede ist hier von »den üblichen Verhaltensauffälligkeiten«, ein erkennbar resignativer Ausdruck, den der Lehrer vermutlich gar nicht mal gezielt benutzt hat, der aber klarmacht, dass die angesprochenen Probleme nicht erst seit ein paar Jahren bestehen.
Noch viel deutlicher wird ein Lehrer, der gleichzeitig Vertreter der sogenannten Pflichtschullehrergewerkschaft ist. Die Pflichtschule in Österreich entspricht der deutschen Grund- und Hauptschulzeit. Er zählt die, wie er es mit einer freundlichen Umschreibung nennt, »Pluralität an Herausforderungen« auf, vor denen die österreichischen Volksschullehrer stehen und die in gleichem Maße für die deutschen Grundschullehrer, aber auch für Lehrer an vergleichbaren Schulformen in anderen europäischen Ländern gelten:
»Ich darf einmal das Problemfeld der kognitiven Kompetenzen ansprechen […]. Wir haben eine starke Heterogenität durch unterschiedliche Sprachstandsniveaus. Das hat nichts mit der Multilingualität an den Schulen zu tun, das wäre nicht so das Problem, sondern problematisch sind – egal, mit welcher Sprache die Kinder in die Schule kommen – die Sprachverarmung, der immer mehr abnehmende Wortschatz, die Schwächen bei der Satzbildung. Einfachste Anweisungen werden nicht mehr verstanden. Es ist zwar durch das verpflichtende Kindergartenjahr gelungen, Grundbegriffe verstärkt nahezubringen, jedoch ist damit die sinngemäße Anwendung, zum Beispiel in Gesprächen zu Sachthemen, noch nicht gegeben.
Wir haben eine mangelnde Entwicklung von Vorläuferfähigkeiten zu
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