Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
lassen. Erst der Prozess, dann die Wiederaufnahme des Verfahrens, dann die Jahrestage. Ein Jahr danach. Fünf Jahre danach. Zehn Jahre danach. Die Journalisten wollten jedes Mal einen Kommentar von ihnen hören, wenn irgendwo ein anderer Teenager umgebracht wurde. Bei uns wird es ganz genauso sein und wir können absolut nichts dagegen machen.«
Er trinkt einen Schluck Wein. Sein Gesicht ist aschgrau und so müde wie das meines Großvaters. Dad hat nicht eine Nacht anständig geschlafen, seit Meggie tot ist. Er denkt, er hätte bei ihr sein, sie beschützen müssen. Manchmal höre ich nachts die Treppe knarzen, wenn ihm klar wird, dass er mal wieder kein Auge zutun wird. Dann geht er nach unten und guckt Sky Sport ohne Ton. Dabei interessiert er sich noch nicht mal für Sport.
»Macht dich das nicht wütend, Dad?«
Er seufzt. »Was mich wütend macht, ist, dass ich früher zwei wunderschöne Töchter hatte, und jetzt habe ich nur noch eine. Was mich wütend macht, ist, dass irgendwer tatsächlich geglaubt hat, er hätte das Recht, Megans Leben auszulöschen. Die Presse«, er macht eine Geste in Richtung des Menschenauflaufs draußen, »ist ein Ärgernis, aber vielleicht erhalten sie wenigstens den Druck aufrecht, denjenigen zu finden, der es getan hat. Dafür kann ich ihnen verdammt viel verzeihen.«
Ich trinke einen Schluck Wein, nicht, weil mir danach ist, sondern weil es mir richtig erscheint. Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, dass es Meggie gut geht. Oder, na ja, gut ist das falsche Wort, aber zumindest ist sie nicht allein.
Aber mir ist klar: Das ist mein Geheimnis. Das hier sind meine beiden Welten, eine so wichtig wie die andere, und ich bin es, die entscheiden muss, was Dad und Mum und Meggie erfahren dürfen und wovor ich sie besser schütze.
Ja, Soul Beach ist ein unglaublicher Segen, aber zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass es auch ein Fluch sein könnte …
23
In London ist es dunkel und regnerisch. Dicke Tropfen fallen stetig auf die Reporter unter meinem Zimmerfenster hinab.
Aber am Soul Beach ist es brütend heiß.
Natürlich kann ich die Wärme nicht spüren, aber ich kann sie sehen, es ist ein Dunst wie in der Wüste, der das Meeresufer unwirklich erscheinen lässt. Irgendwie kommt mir hier heute Abend alles anders vor als sonst und nach ein paar Augenblicken fällt mir wieder ein, was Meggie gesagt hat: dass es hier keine Tiere gibt. Aber das heißt nicht, dass mich nicht trotzdem ein aufgeregter Schauder überläuft, als ich die ersten Schritte im Sand mache.
Im Vorbeigehen sehe ich Menschen in kleinen Grüppchen am Strand liegen. Vollkommen reglos. Und da trifft mich die Erkenntnis: Sie sehen aus wie tot.
»Alice?«
Ich drehe mich um und da steht der Amerikaner mit den traurigen grünen Augen.
»Ich bin Danny, weißt du noch? Deine Schwester hat uns gestern vorgestellt«, sagt er, streckt mir die Hand hin und zieht sie dann wieder zurück. »Entschuldige, ich vergesse andauernd, dass wir uns in verschiedenen Welten bewegen.«
»So siehst du das also? Den Strand als Paralleluniversum?«
Er zuckt mit den Schultern. »Ach, was weiß ich denn schon? Ich bin doch bloß ein amerikanisches Landei. Über solche Sachen denke ich nicht nach, davon tut mir nur der Kopf weh.«
Ich starre ihn an. Unsere Blicke treffen sich, aber diesmal guckt er als Erster weg.
»Das war ein Witz«, murmelt er und bohrt die Fußspitze in den Sand.
»Oh, Verzeihung. Ich hätte nicht gedacht, dass Amerikaner überhaupt wissen, was Ironie ist.« Warum habe ich das gesagt?
Seine Augen werden schmal, dann lacht er. »Da kannst du mal sehen. Tja, ich denke oft stundenlang darüber nach, warum ich wohl hier gelandet bin. Das bringt mich zwar auch nicht weiter, aber hey, immerhin ist es ein Zeitvertreib …« Er nickt in Richtung einer Gruppe von Beachboys, die neben ihren Surfboards dösen. »Besser als die Alternativen ist es allemal. Surfen ist was für Trottel.«
»Aha.« Eigentlich war er ja der Einzige von Meggies Freunden, den ich gern wiedersehen wollte, aber jetzt, als ich neben ihm stehe, verunsichert er mich irgendwie. Er hat so etwas Rastloses an sich, etwas geradezu Wundes.
Ist es möglich, sich auf gute Art verunsichert zu fühlen?
»Ich glaube, Meggie hat sich … äh … ein bisschen hingelegt. Mit einem Freund. Ich kann sie aber suchen gehen, wenn du willst.«
»Ja, sie will sicher gern wissen, dass ich –« Und dann kapiere ich, was er mit hingelegt meint. »Oh. Nein. Nein, schon
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