Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
zerkratzen …«
Ich sehe auf meine Finger hinunter, sie sind gekrümmt wie Krallen. Fast erwarte ich, Erde unter den Nägeln zu sehen.
»Was war los, Alice? Hast du gespürt, was mit Meggie passiert ist?« Sie klingt eher neugierig als besorgt. Plötzlich erscheint mir meine Vorstellung von ihr als Mörderin nur noch absurd.
Ich schüttele den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Das war nur der Weißwein.«
Die Enttäuschung in ihrem Blick regt mich so auf, dass ich ihr am liebsten auch eine Ohrfeige verpassen würde. Jetzt fühle ich mich zwar in Sicherheit, aber ich bin unglaublich wütend auf sie, genauso wie auf mich selbst, weil ich mitgekommen bin und mich so habe gehen lassen.
»Ich will hier weg, Sahara. Aber nicht, bevor du diesen verdammten Schlüssel losgeworden bist. Es ist nicht richtig, dass du den hast. Außerdem könntest du so Beweise zerstören, die sie vielleicht noch nicht gefunden haben.«
Sie drückt den Schlüssel besitzergreifend an ihre Brust. »Nein.«
»Wenn du ihn mir nicht gibst, sage ich es der Univerwaltung.«
Sahara blickt mich finster an. »Das würdest du nicht machen.«
»Und ob. Das tut dir mit Sicherheit nicht gut. Wie oft schleichst du dich hierher?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Einmal die Woche vielleicht. Ich rede mit Meggie.«
Ich halte ihr die Hand hin. Mit einem Mal fühle ich mich viel älter als sie. »Sie ist tot, Sahara. Sie kann dich nicht mehr hören.« Die Finger meiner anderen Hand halte ich hinter dem Rücken gekreuzt.
»Du bist gemein. Und außerdem machst du einen Fehler«, sagt sie, doch ihre Hand schiebt sich trotzdem auf meine zu und lässt schließlich den Schlüssel hineinfallen. »Du musst hinter uns abschließen. Sonst merken sie, dass jemand hier war.«
Als wir uns zum Gehen wenden, werfe ich einen letzten Blick zurück in den Raum und spüre erneut die Dunkelheit auf mich einstürzen. »Niemand sollte hierher zurückkommen, Sahara. Niemand.«
Danach tue ich so, als bräuchte ich dringend einen Kaffee, und natürlich bietet Sahara an, mich zu begleiten, aber ich zische nur: »Allein«, und sie kapiert es endlich. Ich warte ab, bis ich sie durch das Tor zur Uni verschwinden sehe.
Ich sollte versuchen, Tim zu finden, aber wo fange ich am besten an? Ich könnte hier rumhängen und auf Adrian warten und ihm dann zu ihrer gemeinsamen Wohnung folgen. Oder mich in den alternativen Cafés rumdrücken, die Tim immer so gemocht hat. Aber die Chancen, dass einer dieser Pläne funktioniert, sind mehr als gering, und außerdem muss ich bald nach Hause, sonst will Mum wissen, wo ich war. Derzeit behält sie mich ziemlich genau im Auge und ich habe ihre Nachsicht schon bis zum Limit ausgereizt.
»Ich komme noch mal zurück, Meggie, versprochen. Ich werde ihn finden«, flüstere ich, beschämt über meine Schwäche. Doch jetzt, nachdem die Entscheidung getroffen ist, weiß ich, dass es die richtige war. Für meine Begegnung mit Tim muss ich gut vorbereitet sein und meine fünf Sinne unter Kontrolle haben und im Moment ist mein Kopf einfach zu voll mit Geistern und Ängsten, als dass ich die Antworten aus ihm herauskriegen könnte, die ich brauche. Stattdessen spaziere ich zur Themse hinunter. Der Schlüssel fühlt sich kalt an, so als würde er die warme Haut in meiner Handfläche abtöten. Die Wolken haben sich komplett aufgelöst und das Wasser ist still wie ein Spiegel und reflektiert die Wärme der Sonne.
Ich lehne mich über das Geländer und halte den Schlüssel über den Fluss. Jetzt muss ich nur noch loslassen.
Aber irgendetwas hat sich verändert. Ich wirbele herum, überzeugt davon, dass jemand hinter mir steht, doch nur ein paar Touristen sind in der Nähe, die trotz des Windes Eis essen. Verstecken kann man sich auch hier nirgends, dennoch werde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
»Geh weg«, flüstere ich. »Wer immer du bist.«
Das Gefühl verflüchtigt sich so schnell, wie es gekommen ist. Ich sehe erneut nach unten. Obwohl das Flusswasser sich kein bisschen zu bewegen scheint, höre ich wieder Wellen, diesmal aber klingt ihr Rauschen sanfter, beruhigender.
Ich will die Hand gerade öffnen, als ich ein Flüstern höre.
»Noch nicht, Schwesterherz. Warte noch. Die richtige Zeit wird kommen.«
Ohne dass ich groß darüber nachdenke, schließt sich meine Faust wieder um den Schlüssel und das eisige Metall lässt mich erschaudern.
37
Erschöpft und niedergeschlagen steige ich wieder in den Zug. Den ganzen Heimweg über
Weitere Kostenlose Bücher