Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
geschoben. »Wird er oft wütend?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Das nicht, aber …« Dann schüttelt sie den Kopf. »Ach, vergiss es.«
»Das mit dem Vergessen ist nicht so einfach, Sahara.«
Ich warte noch ein paar Sekunden, dann stehe ich auf.
Sie streckt mir die Hand hin. »Geh nicht. Ich kann es dir zeigen, wenn das was hilft?« Ihre Stimme klingt gedämpft, aber eindringlich.
»Was zeigen?«
Sie blinzelt krampfhaft, dann beugt sie sich vor. Ihre Augen funkeln.
»Meggies Zimmer.«
36
Ich beiße die Zähne zusammen, denn ich will nicht, dass Sahara sie klappern sieht.
Es ist nicht so, als wäre ich noch nie dort gewesen. Ich habe sogar in diesem Zimmer geschlafen, als ich Meggie besucht habe, in ihrem Einzelbett, zwischen die Wand und meine kichernde Schwester gequetscht, während von der Straße der Lärm einer Schlägerei zwischen Betrunkenen zu uns heraufdrang.
Aber heute ist das etwas anderes.
»Wieso kommst du da rein?«
Stolz blitzt in ihren geweiteten braunen Augen auf. »Eigentlich darf das keiner. Aber Meggie hat mir einen Ersatzschlüssel gegeben, weil sie ihren andauernd vergessen hat.«
Sahara scheint mir das Zimmer unbedingt zeigen zu wollen. Aber will ich es überhaupt sehen?
Ich merke, dass ich nicke, und sie nimmt meine Hand und zieht mich mit sich, die Themse entlang und dann wieder über das Unigelände, vorbei an den ehrwürdigen Bildungstempeln bis zu den modernen Wohnheimen. Es ist immer noch Mittagspause – jetzt weiß ich definitiv, dass Adrian wegen seiner Vorlesung gelogen hat – und überall auf dem Campus lachen und flirten Studenten, was den Ernst unseres Vorhabens umso deutlicher hervortreten lässt.
Als wir im Aufzug zu Meggies Stockwerk hinauffahren, bin ich völlig außer Atem. Hier drin riecht es nach heiß gelaufenem Motor und an den Wänden hängen Poster für die letzte Strandparty des Semesters, mit Palmen und Hula-Mädchen darauf. Ich wünschte, ich könnte mich von hier weg zurück in mein Zimmer zaubern, zum Soul Beach.
Der Aufzug braucht ewig, um in die Gänge zu kommen, und während mein Atem sich langsam wieder beruhigt, mustere ich Sahara. Sie starrt auf die stählerne Tür, die Kiefer entschlossen aufeinandergepresst.
Als der Aufzug schließlich quietschend zum Stehen kommt, rastet auch in meinem Kopf etwas ein.
Kann Sahara meine Schwester getötet haben?
Mein Hirn scheint mit dreifacher Geschwindigkeit zu arbeiten. Der Streit vor dem Mord. Saharas seltsame Begeisterung darüber, mir das Zimmer zu zeigen. Die Tatsache, dass sie wenige Minuten nachdem die Leiche gefunden wurde, am Tatort aufgetaucht ist …
»Ich will hier raus«, bringe ich flüsternd hervor.
»Gut, wir sind nämlich da.«
»Ja. Okay.«
Als wir aus der Kabine steigen, sehe ich mich vergeblich nach einer Überwachungskamera um. Obwohl ich genau weiß, dass es hier keine gibt, weil die Videospur meiner Schwester, die Dokumentation ihrer letzten Minuten, bereits drei Straßen von hier entfernt abreißt. Um die Privatsphäre der Studenten zu schützen, war die Uni ursprünglich dagegen, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, aber zumindest auf der Hauptstraße hat die Polizei mittlerweile bestimmt zusätzliche Kameras installiert.
Kameras, die nun vielleicht meine letzten Minuten zeigen werden.
»Alles in Ordnung? Wir können uns Zeit lassen, wenn du willst.« Sahara lächelt breit und zeigt ihre vorstehenden Zähne. War sie neidisch auf die unangestrengte Schönheit meiner Schwester? Oder auf ihren Erfolg?
Ich versuche, mich zu beruhigen. Das ist doch alles Quatsch. Der Killer war offensichtlich ein Mann. Der Meggie ganz für sich allein haben wollte. Tim oder …
Sahara hat meinen Arm genommen und schiebt mich ein paar mit Teppich ausgelegte Stufen hinauf. Die Holztür des Apartments ist immer noch dieselbe, aber die Glasscheibe darin ist von innen mit Papier verklebt, auf dem Kein Zutritt steht. »Sie mussten hier dichtmachen, weil die ganzen Erstis immer zum Gaffen hergekommen sind. Besonders spätnachts. Manche reden sich sogar ein, sie hätten deine Schwester singen gehört.«
»Also wohnt da drin jetzt niemand mehr?«
Ich versuche abzuschätzen, wie laut ich wohl schreien müsste, um von hier gehört zu werden.
»Nein. Die ganze Etage steht leer. Sie lassen sie dieses Jahr geschlossen, als Zeichen des Respekts. Oder um die Leichenfledderer abzuwimmeln.«
Leichenfledderer wie Sahara?
Sie geht noch mal zurück und drückt auf den Abwärts-Knopf des Aufzugs.
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