Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
können? Willst du Meggie vielleicht von den Toten erwecken?«
»Cara hat mir erzählt, dass das schon jemand anderes gemacht hat.«
Ich starre ihn an. Ich wünschte, ich hätte Cara nie irgendwas erzählt; ich darf auf keinen Fall riskieren, dass jemand der Wahrheit zu nahe kommt. Im besten Fall hält Lewis mich einfach bloß für eine Irre, die Stimmen hört oder so. Aber im schlimmsten Fall könnte er mich ernst nehmen.
»Ich habe eine blöde Scherz-Mail bekommen. Das war’s.«
»Nur eine?« Er weiß, dass ich lüge.
»Okay, ein paar. Und als sie kamen, war ich gerade ziemlich fertig wegen der Beerdigung, deswegen hab ich ein, zwei Tage lang wirklich geglaubt, sie wären echt, okay? Was aber natürlich totaler Blödsinn ist. Ich bin doch schon dabei, das Ganze zu verarbeiten, aber nun mal in meinem eigenen Tempo. Die anderen müssen einfach ein bisschen mehr Geduld mit mir haben.«
Lewis sieht mich an, ein Teil seines Gesichts ist hinter seinem dunklen Haar verborgen. Ich kann nicht sagen, ob er wirklich so schüchtern ist oder ob er nur eine Show abzieht.
»Was?«, frage ich, als er nichts sagt.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir glauben soll, Alice. Aber wenn du alleine damit klarkommen willst, geht es mich wohl nichts an. Wenn du meinst, dass du das kannst …«
Kann ich es? Die Alternative wäre, jemand anderem zu vertrauen, so wie ich es heute Nachmittag bei der neurotischen Sahara versucht habe, aber das war ja nun kein allzu großer Erfolg. Ein Schauder läuft mir über den Rücken. »Kann ich«, sage ich. »Aber danke, dass du fragst.«
Er sieht aus, als wollte er noch etwas sagen, dann aber steht er auf. »Schon okay. Danke für das Wasser.« Das immer noch unberührt auf der Arbeitsplatte steht. »Du musst mich nicht zur Tür bringen.«
Ich warte, bis ich sie hinter ihm zuschlagen höre. Endlich allein. Ich hatte erwartet, erleichtert zu sein, in Wirklichkeit aber bin ich immer noch nervös. Mum kommt bald nach Hause, deswegen muss ich schnell nach oben, außer Sichtweite, weil ich sie nicht darüber anlügen will, wie es heute in der Schule war. Vielleicht fühle ich mich ja nach einer Dusche ein kleines bisschen besser.
Als ich in den Flur gehe, sehe ich sofort die Visitenkarte auf der kleinen Konsole. Erst denke ich, sie ist von einem Taxiunternehmen, doch als ich sie in die Hand nehme, fühlt sich das Papier für so etwas zu dick an. Ich sehe den Namen Lewis Tomlinson und eine Handynummer, chromfarben eingestanzt vor einem dunkelblauen, leicht angerauten Hintergrund. Teuer.
Ich drehe das Kärtchen um. Ruf mich an, jederzeit. Ich weiß, ich könnte dir helfen. L.
Ja, klar. Ich stecke mir die Karte in die Tasche. Anrufen werde ich ihn auf keinen Fall, aber ich muss die Karte irgendwo außerhalb des Hauses loswerden, denn das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist, dass Mum sie im Müll findet – sie durchsucht immer mal wieder die Abfalleimer, um über Dads grauenhafte Ess- und Trinkgewohnheiten im Bilde zu bleiben – und ein Verhör darüber anfängt, warum irgend so ein fremder Computernerd meint, mir helfen zu müssen.
Bis zu jenem Abend habe ich nie die Kontrolle verloren.
Und seitdem auch nie wieder. Nicht der kleinste Hinweis darauf, dass es erneut passieren könnte. Bis heute.
Es war Meggie, die mich das erste Mal dazu getrieben hat, also ist es wahrscheinlich keine allzu große Überraschung, dass ihre Schwester dieses Gefühl wieder in mir wachruft. Die Ähnlichkeit zwischen den Schwestern ist zwar nicht offensichtlich, aber Gene sind eben so viel mehr als nur dieselbe Stupsnase oder Kinnlinie.
Sie zu sehen war so erfrischend. Womöglich ist sie sogar noch reizvoller als ihre Schwester, denn die kleine Alice hat keine Ahnung von ihrer Macht. Ihrer Aufgewecktheit. Ihrem Potenzial …
Aber ich werde nicht zulassen, dass das alles mich übermannt, nicht wie beim letzten Mal. Der Genuss ist so flüchtig und die Konsequenzen, das Versteckspiel, so ermüdend. Also darf ich die Kontrolle nicht verlieren. Ich muss aus meinen Fehlern lernen.
So ist es besser für alle. Ganz besonders für Alice Forster.
38
Am Strand riecht es so stark nach Rauch, dass ich erst mal nachsehe, ob sich mein Laptop überhitzt hat.
Nein. Nur wieder eine Halluzination.
Über dem Meer liegt eine Art Dunst, den ich zunächst der Hitze zuschreiben will, aber dann sehe ich, dass er eine gelbliche Tönung hat.
Das erste bekannte Gesicht, das mir auf dem Weg zu Meggies Palme begegnet, ist Tritis.
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