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Soul Kitchen

Soul Kitchen

Titel: Soul Kitchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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der Altstadt von Ambar traf man frühmorgens kaum Touristen, nur ein paar Adiossen saßen vor der Arbeit noch eine Weile allein im Café, wenn Fifi ihren Stand aufbaute. Sie hatte eine zweijährige Tochter, dabei war sie erst siebzehn. Zinos erklärte sie, dass man auf Adios mit fünfzehn zu den Erwachsenen zählt. Jeden Tag machte sie Zinos einen Saft aus violetten Früchten. Fifi sagte, es seien die gesündesten Früchte der Welt und dass die Sträucher, an denen sie wuchsen, nur auf Adios zu finden seien. Es gebe nur knapp hundert auf der Insel, die meisten davon im Westen, wo es sehr gefährlich sei. Sowohl Fifì als auch die Dame der Touristeninformation rieten Zinos davon ab, dorthin zu reisen, vor allem nicht nach Metido, der größten Stadt auf der Westseite. Dass es in Metido angeblich keine Touristen gab, reizte Zinos. Fifi erzählte, die Armut in der Umgebung sei so groß, dass viele sich aus Lehm und anderem Dreck Brote backten. Sie berichtete von Zauberei, Aufständen und Krankheiten, von denen man in Europa noch nie gehört hatte. Im Hinterland, verborgen im Dschungel, läge ihr Heimatdorf Santa Santa. Sie behauptete, alle in Santa Santa hätten irgendetwas an ihrem Körper doppelt, zwei Nasen, zwei Augenpaare, vier Zahnreihen oder einen doppelten Scheitel. Zum Beweis zeigte sie Zinos ihren Bauch. Tatsächlich hatte Fifi zwei Bauchnabel. Dagoberto krächzte beim Anblick von Fifis Bauch immer wieder: look at this, look at this. Die einzigen englischen Vokabeln, die Zinos ihn sprechen hörte.
    Am Abend ertönte wieder das Horn eines Kreuzfahrtschiffes, es war dreimal so groß wie die Medusa, es kam aus Nordamerika. Zinos saß in einer Bar in der Nähe des Hafens, als das Horn alles übertönte, den Straßenlärm, die Musik, das Lachen und die Gedanken. Er zahlte seinen Rum, er hatte noch etwas über vierhunderttausend Perdición, das waren etwa dreißig Euro, was für Adios nicht wenig war. Alle rannten runter zum Hafen, einsame Männer, Familien, Jugendliche, Liebespaare, Prostituierte, Händler – alle wollten sie das große Schiff sehen oder ein schnelles Geschäft machen.
    Zinos fragte im Touristeninformationszentrum, wie er in den Westen käme. Die Dame strich ihre Nägel mit durchsichtigem Lack an und sagte ihm, es fahre ab und zu ein Bus, der manchmal klimatisiert sei. Hin und wieder würden sogar ein paar Touristen mitfahren, aber die stiegen nirgends aus, die wollten immer nur gucken.
    »Sie wollen doch nicht aussteigen?«, fragte sie und bepustete ihre Nägel.
    »Nein, nein, ich will nur etwas mehr sehen – das Dorf mit den Menschen, die irgendwelche Körperteile doppelt haben vielleicht!«
    »Da fährt der Bus aber nicht lang, zügeln Sie ihre Neugier, Fremder.
    Die Dame sah ihn streng an. Zinos buchte die Fahrt, sie kostete nur siebentausend Perdición, etwa fünfzig Cent. Das Ticket musste man schon einen Tag vor der Abfahrt abstempeln lassen, warum, verriet ihm die Dame nicht. Er musste dafür quer durch die Stadt zu einem kleinen Laden, den ein Mann namens Candido betrieb. Dieser Kerl war der Einzige, der überhaupt bereit war, die Strecke zu fahren. Zinos stand vor einem zur Hälfte gestrichenen Bretterverschlag. Es war ein kleines Geschäft, in dem man fast alles bekam: Zahnbürsten, Schweineschwartenchips, Faschingsmasken, Grabkerzen, Bücher, Gläser mit Goldfischen, Gemälde von Sonnenuntergängen, Melonen, Nagellack, Geburtstagstorten aus Plastik, Hängematten, Comics. In einer Ecke standen drei kleine Tische; es saßen ein paar Männer dran, tranken Rum, rauchten und spielten Domino. Es erinnerte Zinos an ein Kafenion. Eine mindestens ein Meter achtzig große Frau stand hinterm Tresen. Sie hatte einen riesigen Afro, trug einen Rock, der gerade ihre Pobacken bedeckte, und ein bauchfreies David-Bowie-T-Shirt.
    »Du willst dein Ticket in den Westen abstempeln lassen?«, fragte sie auf Deutsch.
    »Ja, ja, will ich. Warum sprichst du so gut Deutsch?«
    »Weil ich nicht blöd bin!«
    Sie bot Zinos eine Zigarette an und öffnete ihm ein Bier. Sie goss es in ein Glas; das Bier war blau.
    »Was ist das?«, fragte Zinos.
    »Bernsteinbier.
    »Blauer Bernstein?«
    »Hier ist eben alles ein bisschen bunt. Traust dich nicht zu trinken, was, hier, ich trink’s aus, in einem Zug, ich falle nicht um, ich laufe nicht blau an.«
    Zinos ließ sich eins geben. Es schmeckte mineralisch.
    »Schmeckt’s? Es gibt auch scharfes Bier aus Chilis, aber das beeindruckt nicht mal mehr die Deutschen. Wie heißt

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