Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
schwarzer Rabe. Ihre Tricks zeugen von schamlosem Einfallsreichtum. Aber wo sind die fetten Speckseiten, der Cognac, das eingemachte, vom Rotwein violett gebeizte Kaninchenragout?
In Zeitlupe auffliegende Tauben, Geflüster, Karbollinden, ein flatternder Geruch aus Besänftigung und Schärfe.
Am 31. Juli war er mit der Ambulanz eingeliefert worden. Die letzten Tage des Monats waren schrecklich gewesen, ans Malen war nicht mehr zu denken, der Schmerz im Oberbauch war zu bohrend geworden, ließ ihm kaum mehr Pausen, die er vorher noch gnädig, mit einer unvorhersehbaren Lässigkeit gewährt hatte. Ich bin da, ich bin kurz weg, aber ich komme wieder. Nur Geduld, ich bin gleich wieder da, verlass dich auf mich. Glaub nur nicht, ich werde lange ausbleiben. Glaub nicht mehr an mein Verschwinden. Ich verlasse dich nicht mehr.
Ma-Be, hörst du mich, bist du noch da? Ich kann dich nicht sehen.
Der Maler hat die Augen geschlossen, er spürt die Anstrengung, durch die Lider hindurch zu sehen. Er kann sie nicht öffnen.
Am Morgen lag er fiebrig auf der Matratze, wälzte sich wie ein verletztes Tier, stammelte Unverständliches. Keinerlei angelerntes Französisch mehr, es war wie gelöscht, nur irgendwelche Wortfetzen, die Marie-Berthe nicht verstehen konnte. Sie nahm es als schlechtes Zeichen, lief unruhig hin und her wie eine Tigerin im Käfig.
Der Maler dreht sich stöhnend auf der Matratze, von einer Seite auf die andere. Aber keine Seite hilft. Der Vermieter, Monsieur Gérard, bringt einen warmen Umschlag aus Senfmehl herauf, trägt ihn würdevoll wie ein Priester vor sich her und sagt feierlich, als hätte er es sonntags dem Dorfpfarrer abgelauscht:
Prenez ce cataplasme
. Seine Frau kannte sich aus damit, für jede Gelegenheit hatte sie einen Umschlag parat. In den Ohren des Malers, die sich seit seiner Ankunft in Paris dreißig Jahre zuvor zäh und zögerlich an die Sprache gewöhnt haben, die näselte und so völlig anders klang als die singende Sprache seiner Kindheit in Smilowitschi und die Mundbrocken eines tatarischen Russisch, klingt das Wort
cataplasme
einzig wie Katastrophe. Marie-Berthe nimmt es dem Vermieter wortlos ab und legt es dem Maler auf den Bauch.
Er windet sich auf dem Krankenbett, ein kleines frommes Kreuz um den Hals, das Ma-Be ihm umgehängt hat. Sie hatte verbissen gebetet in diesem Juli, längst hatte sie zu ihrem guten französischen Glauben zurückgefunden, die Wut auf die ganze Malerbrut am Montparnasse hatte ihr dabei geholfen. Christus baumelt an seinem Hals, der Messias ist da, soll er ihn stoppen, den wilden Schmerz.
Christus wird dir helfen, glaub nur fest an ihn, Chaim, hatte Marie-Berthe schon öfter gestammelt. Er ist für dich am Kreuz gestorben. Du bist schon erlöst.
Der Maler versteht nichts mehr, der Schmerz ist das Einzige, was er weiß.
Bleib doch liegen, lass den Umschlag wirken, er wird dir guttun.
Nein, ich muss … ins Atelier hinüber … muss … es gibt nichts anderes … bevor sie kommen … du weißt es …
Keiner kann ihn aufhalten. Ma-Be und ihr Gezänk, ihre Drohungen sind wirkungslos, er muss es tun. Er will keine Begleitung, lehnt sie mit einer schroffen Handbewegung ab. Immer war er dabei allein. Er schleppt sich weg zum Atelier, in jenes kleine Häuschen am Eingang zum Großen Park, an der Straße nach Pouant. Auch ins winzige Zimmer bei Monsieur Crochard, dem Schreiner und Bürgermeister von Champigny, will er noch hineinschauen, auch dort müssen noch Leinwände stehen. Halb gelähmt vom Schmerz, sich hochreißend mit dem kleinen hündischen Jaulen, das er längst kennt, die Hand flach an den Bauch gepresst. Es gibt noch etwas zu tun, was wichtiger ist als alles.
Streichhölzer her, mit raschen Handgriffen ein paar Zeitungen zusammengeknüllt, rein in den Kamin damit, wo in diesem heißen Juli noch Asche liegt vom letzten Mal, als die alte Zerstörungswut ihn überkam. Dann hastig die Leinwände hervorgezerrt, nur noch den einen wütenden Blick daraufgeworfen, dann hinein in die Hölle damit. Als seien sie an allem schuld, an diesem Unglück, das nicht mehr aufhören wollte in den letzten Monaten. Nein, seit Kriegsbeginn, dem unglaublichen, aber klar vorausgeahnten Tag des 3. September 1939, als sie im kleinen burgundischen Dorf Civry waren, er und Mademoiselle Garde, und vom Kriegseintritt Frankreichs erfuhren, und der Bürgermeister ihnen, den beiden auffälligen Ausländern mit ihrem verdächtigen deutschen und slawischen Akzent, die Abreise verbot
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