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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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nicht entschließen können, dem Reichskanzler eine Dienerschaft zu seiner persönlichen Bequemlichkeit in seinem Privatleben auf eigene Verantwortung zur Verfügung zu stellen, weil die Folgen einer solchen Verletzung der sozialen Gleichheit unabsehbar sein würden. Wie leicht kann der ganze soziale Bau wieder zusammenstürzen, wenn in seiner folgerechten Gliederung auch nur ein einziger Stein gelockert wird. Schon Bebel schrieb in seinen Betrachtungen über diese Stiefelwichsfrage: „Arbeit schändet nicht, auch wenn sie im Stiefelputzen besteht. Das hat sogar schon mancher altadlige Offizier in Amerika kennen gelernt. “ Die Regierung war allerdings geneigt den von Bebel gegebenen Fingerzeig zur Lösung dieser Schwierigkeiten zu beachten und eine erhöhte Aufmerksamkeit der Frage zuzuwenden, wie das Stiefelwichsen und Kleiderreinigen durch Maschinen ausgeführt werden könne. Aber auf diese Aussicht der Bedienung durch Maschinen wollte sich der Reichskanzler nicht einlassen.
    So ist er denn gegangen. Sein vom gesetzgebenden Ausschuss gewählter Nachfolger gilt als eine weniger schneidige, und mehr vermittelnde Natur, als ein Mann, der es nach keiner Seite gern verderben und möglichst allen Wünschen gerecht werden will.
    In etwas gar zu demonstrativer Weise erschien der Nachfolger des Reichskanzlers heute in der Küche seines Bezirks, speiste in der Reihenfolge seiner Nummer und spazierte zu Fuß Unter den Linden, ein großes Packet mit Kleidungsstücken unter dem Arm, welches er in die Reparaturanstalt des Stadtteils zum Reinigen und Ausbessern überbrachte.

17. Aus den Werkstätten
    Ich bin froh, heute den Kontrolleursposten, welchen mir ein Freund in der Magistratsdeputation schon lange versprochen, erhalten zu haben. Ich brauche also nicht länger als Buchbinder in der Werkstatt tätig zu sein. Wenn doch mein Franz in Leipzig auch loskommen könnte von seinem Setzerpult. Nicht, dass wir unsere Berufsarbeit verachteten, aber es geht meinem Sohn wie mir. Die Art, wie es in den Werkstätten jetzt zugeht, passt uns ganz und gar nicht. Man arbeitet doch nicht bloß um das bisschen Leben. Schiller war zwar auch ein Bourgeois, aber gefallen hat mir immer sein Spruch:
    Das ist es, was den Menschen zieret,
und dazu ward ihm der Verstand,
Dass er im Innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.
    Leider spüren unsere Kollegen in der Werkstatt kaum davon noch etwas. Man sollte fast meinen, die Werkstätten seien jetzt nur Lokale, um die Zeit totzuschlagen. Die Parole lautet: Immer langsam voran, damit der Nebenmann mitkommen kann. Akkordarbeit gibt es nicht mehr. Sie vertrug sich allerdings nicht mit der sozialen Gleichheit der Löhne und der Arbeitszeit. Aber bei dem „gewissen Gelde“, so schreibt Franz, heißt es jetzt: Kommt die Arbeit heute nicht, so kommt sie morgen zu Stande. Fleiß und Eifer gilt für Dummheit und Borniertheit. Wozu auch? Der Fleißige bringt es ja auch nicht weiter im Leben als der Träge. Man ist selbst nicht mehr seines Glückes Schmied, sondern wird angeschmiedet, wo es andern gerade passt — Also mein Franz. Diesmal hat er weniger Unrecht als sonst.
    Es ist nicht zu beschreiben, wie viel jetzt an Material und Gerätschaften durch Unaufmerksamkeit und Nachlässigkeit verdorben wird. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich mich als Meister früher mit solchen Gesellen, wie sie jetzt neben mir arbeiten, hätte herumplagen sollen. Als es einmal wieder gar zu arg war, riss mir doch der Geduldsfaden und ich hielt eine Standrede, die nicht schlecht war.
    Kollegen, die Gesellschaft erwartet, dass jedermann seine Schuldigkeit tut. Wir haben jetzt nur acht Stunden zu arbeiten. Ihr seid alte Sozialdemokraten. Unser Bebel hoffte einst, eine „moralische Atmosphäre“ werde in der neuen Ordnung jeden anregen, es dem andern zuvorzutun. Bedenkt, Genossen, wir arbeiten nicht mehr für Ausbeuter und Kapitalisten, sondern für die Gesellschaft. Alles kommt durch die Gesellschaft jedem von uns wieder zu gute.
    Schön gepredigt, so höhnte man mich; schade, dass wir keinen Pastor mehr brauchen. Bebel hat uns einen vierstündigen Arbeitstag versprochen und nicht einen achtstündigen. Die Gesellschaft ist groß. Soll ich mich für die 50 Millionen Gesellschaft plagen und schinden, während die übrigen 49. 999. 999 nicht solche Narren sind? Was kaufe ich mir für das 1/50. 000. 000, wenn ich es wirklich aus dem Mehrertrag meiner Arbeit zurückbekäme?
    Dann sangen sie im Chor: Wenn
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