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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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täglich zwei unentgeltliche Vorstellungen, sonntags derer drei. Natürlich sind auch die von den Bourgeois dem arbeitenden Voll hinterlassenen Theater viel zu beschränkt Andere größere Versammlungslokale sind deshalb zur Veranstaltung von Volksbelustigungen hinzugenommen worden, z. B. Kirchen. An letzteren stößt sich allerdings noch dieser und jener, der von den anerzogenen Vorurteilen sich nicht loszulösen vermag. Grund und Boden der Kirchen aber ist Gemeingut geworden und Gemeingut darf laut Staatsgrundgesetz, wie es schon durch den Erfurter Parteitag im Oktober 1891 vorgeschrieben war, nicht zu kirchlichen und religiösen Zwecken verwendet werden.
    Zur Aufführung gelangen in allen Theatern natürlich nur Stücke, welche die neue Ordnung verherrlichen und die Niederträchtigkeit der früheren Ausbeuter und Kapitalisten in lebendige Erinnerung zurückrufen. Das ist zwar auf die Dauer etwas einförmig, aber es stärkt doch die Gesinnungstüchtigkeit, was hier und da allerdings recht notwendig ist.
    Anfangs war jedem freigestellt, wo und wie er ein Theater besuchen wollte. Indes ist die wilde Konkurrenz auch hier durch zielbewusste Organisation der Volksbelustigungen ersetzt worden. Aufführungen klassischer sozialdemokratischer Stücke fanden vor leeren Bänken statt, während in Spezialitätentheatern kein Apfel zur Erde fallen konnte. Fast schlug man sich dort um die besseren Plätze. Jetzt verteilt der Magistrat die Vorstellungen in einer gewissen Reihenfolge auf die einzelnen Stadtteile und Straßen. Die Theaterdirektoren aber verlosen die einzelnen Plätze unter das ihnen für die betreffende Vorstellung zugewiesene Publikum, wie es schon 1889 die sozialdemokratische Freie Volksbühne in Berlin eingeführt hat.
    Aber Glück in der Liebe, Unglück im Spiel! Diese Erfahrung haben wir auch hierbei gemacht. Meine Frau und ich haben jetzt dreimal hintereinander so schlechte Plätze erlost, dass meine Frau nichts hören und ich nichts sehen konnte. Sie ist nämlich etwas schwerhörig, während ich kurzsichtig bin. Beides verträgt sich im Theater nicht recht mit der sozialen Gleichheit.
    Auch zahlreiche öffentliche Tanzbelustigungen finden auf Veranstaltung des Magistrats allabendlich statt. Der Zutritt hierzu regelt sich in derselben Weise wie bei den Theatervorstellungen. Jung und Alt ist gleichmäßig berechtigt, zu erscheinen. Die Reform der Tanzordnung bot vom sozialistischen Standpunkt einige Schwierigkeiten. Die Gleichberechtigung der Frau kommt jetzt zum Ausdruck dadurch, dass Damentouren fortwährend mit den Herrentouren abwechseln. Allerdings sagt Bebel: Die Frau freit und lässt sich freien. Aber der Versuch, unter sinngemäßer Anwendung dieses Grundsatzes beiden Geschlechtern bei jedem Tanz die Aufforderung zu gestatten, musste bald aufgegeben werden, weil dadurch die Tanzordnung sich in eine etwas tumultartige Verwirrung aufzulösen drohte.
    Der „Vorwärts“ enthielt eine Reihe von interessanten Eingesandtes, welche ebenso gründlich wie scharfsinnig die Frage erörtern, ob es in der sozialisierten Gesellschaft beim Tanzen auch ein Recht auf Herren bzw. für die Herren ein Recht auf Damen gebe. Aus der gleichen Arbeitspflicht, so schrieb eine Dame im „Vorwärts“, folgt ein Recht auf gleichen Lohn. Zum Lohn für die Arbeit gehört auch das von Staatswegen organisiere Tanzvergnügen. Ein regelrechtes Tanzvergnügen ist für eine Dame nur denkbar mit einem Herren, und dass es für die Heeren kein Vergnügen ohne Damen gibt, sei noch selbstverständlicher.
    Von Seiten der ehrwürdigen Einsenderin wurde deshalb im „Vorwärts“ der praktische Vorschlag gemacht, für jedes Tanzvergnügen Herren und Damen durch das Los unter voller Wahrung der sozialen Gleichheit von Jung und Alt, Hübsch und Hässlich einander zuzuteilen. Ebenso wie es in der sozialisieren Gesellschaft keine Arbeitslosen und keine Obdachlosen gibt, dürfe es auch keine herrenlose Damen bei Tanzvergnügungen mehr geben.
    Indes legte in einem neuen Eingesandt ein Professor des modernen Naturrechts dar, dass aus einer solchen Organisierung der Tanzverbindungen zuletzt bedenkliche Schlussfolgerungen gezogen werden könnten auch auf die Anerkennung eines Rechts auf Eheschließungen bzw. auf eine staatliche Regelung der Eheschließungen durch eine allgemeine Verlosung von Damen und Herren. Aber ebenso wie die Ehe ein Privatvertrag sei ohne Dazwischenkunft irgendeines Funktionärs, müsse auch einer momentanen Tanzverbindung von
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