Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Ausbau des sozialdemokratischen Staatswesens. Auch der einige Abgeordnete aus der Partei der „Jungen“, ist nur gewählt worden, weil die Partei der Freiheitsfreunde ihn wegen seines persönlichen schneidigen Auftretens gegen die Regierung in der Wahl unterstützen zu müssen glaubte.
Die Partei der Freiheit oder der Freiheitsfreunde hat, durch das ganze Land gerechnet, nahezu ein Drittel der Stimmen erlangt, trotzdem sie von der Regierungspartei als Partei des Umsturzes und der Untergrabung der gesellschaftlichen Ordnung in jeder Weise zu ächten gesucht wurde. Die Partei verdankt diesen relativen Erfolg wesentlich der Unterstützung der weiblichen Wähler, welche sich überhaupt an der Wahl weit stärker als die Herren vom stärkeren Geschlecht beteiligten und aus ihrer Erbitterung über die herrschenden Zustände insbesondere über die Beschränkung der Häuslichkeit und des Privatlebens, kein Hehl machten.
Insbesondere war seit Einführung der täglichen Kündigungsfristen für die ehelichen Verbindungen die große Zahl der eheverlassenen Frauen am Wahltage überaus tätig im Stimmzettelverteilen und Heranholen säumiger Wähler zur Urne.
Von Damen ist nur eine einzige in den Reichstag gewählt worden, nämlich die Gattin des neuen Reichskanzlers. Diese Dame rechnet sich nicht zur Regierungspartei, sondern hat sich als „wild“ bezeichnet. Sie hat in ihrer öffentlichen Wahlrede versichert, dass, wie sie bisher es schon in der Häuslichkeit ihrem jetzigen und auch allen früheren Gatten gegenüber gewohnt gewesen sei, sie auch im Reichstag offen und frei die Wahrheit sagen werde, wenn dies nach ihrer selbständigen Überzeugung das Interesse des Volkes erheischt. Die Regierungspartei glaubte diese Wahl der Gattin des Reichskanzlers nicht bekämpfen zu dürfen, teils aus Courtoisie, teils um an dieser Wahl die Gleichberechtigung der Frauen praktisch zu demonstrieren.
27. Ein großes Defizit
Allmonatlich eine Milliarde oder 1. 000. 000. 000 Mark mehr Ausgaben als Einnahmen, mehr Konsumtion als Produktion im Volkshaushalt, das ist die schlimme Botschaft, mit welcher der Reichskanzler den neuen Reichstag eröffnet hat. Ein Wunder, dass es noch gelungen ist, diese Tatsache bis nach den Wahlen geheim zu halten. Für die Klarstellung und Abhilfe aber ist es jetzt die höchste Zeit.
Freilich zu merken war es schon seit langer Zeit an allen Ecken und Enden, dass es nicht stimmte. Wollte man für sein Geldzertifikat etwas kaufen, so hieß es nur zu oft, der Vorrat davon sei eben ausgegangen und würde erst in einiger Zeit ergänzt werden können. In Wahrheit aber war nicht die stärkere Nachfrage, wie sich jetzt herausstellt, sondern die Abnahme der Produktion schuld daran. Es war sogar schwer, sich für Ersparnisse auf dem Geldzertifikat auch nur die notwendigsten Kleidungsstücke zu erneuern. Bei anderen Bedarfsartikeln musste man mit erschrecklichen Ladenhütern fürlieb nehmen, wenn man überhaupt etwas bekommen wollte. Die Preise für die aus dem Auslande bezogenen Artikel wie Kaffee, Petroleum, Reis waren nachgerade kaum mehr zu erschwingen.
Auch sonst hat wahrlich die Bevölkerung nichts weniger als in Saus und Braus gelebt. Für das Mittagessen ist zwar nach wie vor die Fleischration auf 150 Gramm verblieben; indessen scheinen Änderungen in Bezug auf Einrechnung von allerhand Abfällen auf die Gesamtheit der Portionen stattgefunden zu haben. Auch bat sich der Gemüseetat sehr vereinfacht und ist auf Erbsen, Bohnen, Linsen und Kartoffeln eingeschränkt. Am Bebeltage ist die erwartete größere Fleischration und ein unentgeltliches Glas Bier ausgeblieben. Sogar bei den Gewürzen scheint immer mehr gespart zu werden. Vielfach hört man über die Geschmacklosigkeit und Fadheit der Speisen klagen, was Ekel erzeugt, der selbst durch starkes Hungergefühl sich nicht überwinden lasse. Von Erbrechen und Darmkatarrh war bei den Mahlzeiten immer mehr die Rede.
Obwohl nach den vorhandenen Anzeichen sich annehmen lässt, dass trotz der starken Auswanderung der Bevölkerung in Folge der Gewährleistung freier Kindererziehung von Seiten des Staates einem rapiden Zuwachs entgegensieht, werden neue Wohnhäuser selbst in Berlin nicht mehr gebaut. Sogar die notwendigsten Reparaturen werden vielfach hinausgeschoben. Von Meliorationen, Erneuerungen der Maschinen und Geräte oder von Erweiterungen von Betriebs- und Produktionsanlagen oder neuen Verkehrswegen hört man nirgend etwas.
Die Vorräte für die Konsumtion
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