Sozialdemokratische Zukunftsbilder
scheinen aus ein Minimum zusammengeschmolzen zu sein. Nur an Artikeln, nach denen wenig oder gar nicht verlangt wird, ist noch erheblicher Vorrat; außerdem bei allen jenen Waren, die früher in das Ausland verkauft wurden und jetzt dort, namentlich in den sozialdemokratischen Staaten, keinen Absatz mehr finden, so namentlich an Putzwaren, Stickereien, Handschuhen, Wein, Seidenwaren, Klavieren, Plüsch u. s. w. Alle diese Waren werden deshalb im Inland weit unter dem Kostenpreis abgegeben, nur um damit zu räumen.
Trotz alledem scheint das Defizit gerade in den letzten Monaten eher größer als kleiner geworden zu sein. Sogar die Vorräte von Rohstoffen und Hilfsstoffen beginnen nicht mehr auszureichen, um auch nur den regelmäßigen Fortgang der Produktion zu sichern. Das Ausland überlässt jetzt nirgendwo mehr Waren auf Kredit an Deutschland, sondern nur im Umtausch der Gegenwerte, Zug um Zug.
Man kann dabei nicht einmal behaupten, dass die Regierung leichtsinnig die Konsumtion geregelt hat. Sie hatte, wie es in der Botschaft zur Eröffnung des Reichstags heißt, ziemlich genau ermittelt, dass der Wert der gesamten Produktion an Gütern und Dienstleistungen in Deutschland unmittelbar vor der Umwälzung sich einschließlich der schon damals vorhandenen Produktionszweige der Gemeinwesen auf 17 bis 18 Milliarden Mark jährlich belief. Die Regierung hatte eine Steigerung des Produktionswerts als Folge der neuen Organisation gar nicht einmal in Rechnung gestellt, sondern war nur davon ausgegangen, dass auch bei Einführung des achtstündigen Maximalarbeitstages sich der bisherige Produktionswert erreichen lasse. Diese Annahme war der Berechnung der zulässigen Konsumtion zu Grunde gelegt. Dabei konnte denn allerdings schon bisher die Mehrheit der Bevölkerung trotz aller Einschränkung in der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit nicht besser, sondern nur schlechter gestellt werden, als vor der großen Umwälzung.
Und nun stellt sich heraus, dass der Produktionswert gegen früher auf ein Drittel, also jährlich von 18 aus 6 Milliarden oder monatlich, von 1½ auf? Milliarde in der sozialisierten Gesellschaft zurückgegangen ist. Es wird also in jedem Monat eine Milliarde untergezehrt. Das ergibt in 4 Monaten schon so viel Verlust, wie im großen französischen Kriege seiner Zeit Frankreich an Kontribution an Deutschland abführen musste.
Wo soll das hinaus und wie ist Abhilfe möglich! Die Spannung auf die nächste Reichstagssitzung, in welcher der Kanzler die Ursachen des Defizits klarlegen will, ist eine Überaus große.
28. Familiennachrichten
Immer bin ich noch einsam und allein in meiner Wohnung, wie es seit meiner Junggesellenzeit nicht mehr der Fall war.
Noch immer weilt meine arme Frau in der Krankenanstalt. Der Arzt hat mich indes gebeten, die Besuche daselbst auf das Äußerste einzuschränken, um jede Aufregung bei ihr möglichst zu vermeiden. Denn sieht sie mich, so fällt sie mir leidenschaftlich um den Hals, als sei ich soeben erst nach den furchtbarsten Lebensgefahren ihr wieder zurückgegeben. Nachher gibt es wieder die aufregendsten Szenen, bevor sie sich von mir trennen kann und mich nach Hause entlässt. Je lebhafter sie nach unseren Gesprächen in ihren Gedanken sich mit mir und den andern Familienmitgliedern beschäftigt, desto mehr steigert sich bei ihr das Gefühl der Angst und Sorge um uns. Sie wähnt uns allerlei schlimmen Verfolgungen und Gefahren ausgesetzt, fürchtet uns nimmer wiederzusehen. Die Erschütterung des Gemütes durch den Tod unserer Tochter und die Vorgänge bei der Flucht von Franz und Agnes ist noch immer nicht überwunden.
Ich wollte darüber unsern früheren Hausarzt, dem ihr Sein und Wesen genau bekannt ist, und der sie seit unserer Verheiratung ärztlich behandelt hat, um: Rat fragen. Der Arzt kam soeben von einem jugendlichen Selbstmörder zurück, den er sich vergebens bemüht hatte, wieder ins Leben zurückzurufen. Er musste aber zu seinem Leidwesen bedauern, dass soeben sein achtstündiger Maximalarbeitstag abgelaufen sei. Deshalb könne er beim besten Willen und bei aller Freundschaft für uns keinen ärztlichen Rat heute mehr erteilen. Er ist schon zweimal von einem jüngeren Kollegen, der eine dem Maximalarbeitstage entsprechende ärztliche Tätigkeit durch Ablieferung von Kupons zur Staatsbuchhalterei nicht nachweisen konnte, wegen Überschreitung der Arbeitszeit denunzier und in Folge dessen wegen Überproduktion hart bestraft worden.
Der alte Herr
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