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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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kommt es mir vor, als wäre sie gerade erst vollzogen worden, als wäre soeben die Stimme vom Himmel erklungen und hätte verkündet, die Tochter von dem und dem ist nicht mehr für den bestimmt, sondern für einen anderen, und sie ist aufgefordert, zu ihm zu ziehen, mit allem, was sie ihr eigen nennt, mit ihren Möbeln, ihren Kleidern, ihren Büchern, und mit ihrem einzigen Sohn, der ihr geboren wurde, in die Gasse der Bußgebete, in seine Wohnung, und nie in die ihre zurückzukehren.
    Seine breiten fleischigen Hände fahren mit einer angespannten Bewegung über seinen Kopf, seine Wangen blasen sich auf wie Schwämme, die sich voll Wasser saugen, es sieht aus, als spanne sich sein Körper vor mir, fülle sich mit den Resten des alten Zorns, der Frustration und der Eifersucht, seine Augen werden rund vor Erstaunen, einem Erstaunen, das mir von Gilis Gesicht so vertraut ist, und er sagt, ich glaube es nicht, Ella, noch vor ein paar Wochen wolltest du zu mir zurück, du warst bereit, alles zu tun, damit ich wiederzu dir komme, und jetzt stellt sich heraus, dass du jemanden hast und sogar schon bei ihm einziehen willst? Was soll das werden?
    Ein Vorhang aus Fremdheit senkt sich von der Decke, teilt unseren Tisch wie ein dunkles Schattennetz, entfernt mich von ihm, ich sitze ihm allein gegenüber, aber ich habe das Gefühl, auf den Knien meines neuen Geliebten zu sitzen und zwischen seinen Armen hindurch den Mann zu betrachten, dessen Bewegungen so grob sind, der Stempel der neuen Liebe ziert meinen Körper wie ein Schmuckstück, das mir mein Geliebter als Zeichen seiner Liebe gekauft hat, damit jeder, der zufällig vorbeikommt, von ihr erfährt, einschließlich Amnon Miller.
    Das war nicht vor ein paar Wochen, Amnon, sondern vor ein paar Monaten, sage ich schnell, und du hast diese Möglichkeit weggewischt, alles, was seither passiert ist, geht dich nichts mehr an, ich informiere dich jetzt nur wegen Gili, und auch, damit wir endlich zum Rabbinat gehen und unsere Angelegenheiten beenden, wie es sich gehört. Gegen meinen Willen befinde ich mich in der Defensive, wie bei all unseren Streitereien, darin sind wir schon sehr geübt, alle Arten von Streit haben wir zusammen erlebt, solche, die schnell vorbei sind, und andere, die sich in die Länge ziehen, solche, die mit einer Versöhnung enden, und jene, die ungelöst bleiben und einen fauligen Geruch annehmen, wie Wasser, das zu lange in einer Vase bleibt, und ich frage mich, ob uns noch genug Nähe geblieben ist, um einen Streit zu nähren, zwischen mir und diesem schwerfälligen Mann in dem karierten Flanellhemd, dessen Augen meinem Blick ausweichen, der sich aber wütend auf die Auskunft stürzt, aha, sagt er, das ist es also, was du jetzt dringend willst, unsere Angelegenheiten zu Ende bringen, mich endgültig loswerden, deshalb wolltest du dich unbedingt mit mir treffen,und ich sage, natürlich, was hast du denn erwartet, dass ich dich anflehe, zu mir zurückzukehren, so wie damals, damit du mich wieder erniedrigen und vielleicht noch einmal in dein Badezimmer sperren kannst, siehst du nicht, dass ich schon längst woanders bin?
    Hast du überhaupt eine Ahnung, was damals mit mir passiert ist, fragt er, weißt du, wie schwer es mir gefallen ist, dich zurückzuweisen? Schnell, fieberhaft spricht er weiter, ich habe es für dich getan, für uns beide, ich habe gewusst, wenn ich zu schnell zurückkomme, wird sich nichts ändern, ich habe gewusst, dass ich dir Zeit geben muss, ich wollte sicher sein, dass du es ernst meinst, dass ich mich auf das verlassen kann, was du sagst, und ich schüttle zweifelnd den Kopf, Amnon, ich verstehe wirklich nicht, was du mir zu sagen versuchst, du hast mir damals nicht den Schatten einer Hoffnung gelassen, wir leben schon seit Monaten getrennt, jeder von uns ist frei, sein eigenes Leben zu führen, willst du jetzt sagen, dass du auf mich wartest?
    Ich warte schon lange darauf, zu erfahren, ob du es in jener Nacht ernst gemeint hast, sagt er, gestern, als du mich angerufen hast, war ich sicher, dass du mir vorschlagen würdest, zurückzukehren, aber diesmal nicht aus Panik, sondern aus Liebe, entschuldige diesen Ausdruck, jetzt verstehe ich, dass ich naiv war, wie immer, ich habe zu viel Vertrauen in dich gesetzt, du bist nicht erwachsen geworden, du hast nichts gelernt, wenn du dich so schnell in die Arme des erstbesten Mannes wirfst, der

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