Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
könne »die Schäden der Ordnung« nicht beseitigen, so Eucken. Diese müsse vielmehr so sein, »dass sie den Menschen das Leben nach ethischen Prinzipien ermöglicht«. Tugend muss sich ebenso lohnen wie Leistung. Besser noch: Sie muss integraler Bestandteil derselben werden.
So unmoralisch und verabscheuungswürdig wir manche Verhaltensweisen von Bankern finden mögen, die zur Finanzkrise beigetragen haben: Moral hängt in der Marktwirtschaft nicht vom guten Willen des Einzelnen ab. »Der Wohlstand aller ist nicht im Wohlwollen der Akteure begründet«, so der renommierte Wirtschaftsethiker Karl Homann (»Ethik in der Marktwirtschaft«), der das Moralverständnis von Josef Ackermann stark beeinflusst hat. Es zeuge von »Blindheit und Selbstgerechtigkeit, wenn ausgerechnet Politiker von den Banken verlangen, die Versäumnisse der Politik durch individuelle Tugenden wie Mäßigung zu kompensieren«.
Wir ziehen also die falschen Lehren aus der Jahrhundertkrise, wenn wir uns auf moralische Tribunale kaprizieren und in Banker-Schelte erschöpfen, statt das weltweite Bankensystem gebührend umzubauen und ihm den richtigen Ordnungsrahmen zu geben.
Wirtschaftlicher Wettbewerb ist ein Mittel, kein Zweck. Sein Zweck ist es, Fortschritt und Wohlstandsgewinne für alle zu erreichen. Darin, und nur darin, findet er seine moralische Rechtfertigung. Ohne diese Finalität begründet er nur die Herrschaft des Starken über den Schwachen und wird ruinös – auch ethisch-moralisch.
Markt und Wettbewerb führen nun aber nicht selbsttätig zum Gemeinwohl. Sie brauchen Regeln, damit weder das unternehmerische Gewinnstreben noch das Renditestreben von Anlegern in Gegensatz zur Moral gerät. Dabei kann es in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht darum gehen, das Eigeninteresse zu fesseln. Es gilt vielmehr, dieses in eine Richtung zu lenken, die auch das Gemeinwohl fördert. Die Moral muss in den Spielregeln verankert sein, der Wettbewerb weiter in den Spielzügen stattfinden können, wie Homann es ausdrückt.
Josef Ackermann ist ein überzeugter Anhänger von Marktwirtschaft und Wettbewerb. Die Finanzkrise hat ihn schmerzlich daran erinnert, dass weder Menschen noch Märkte vollkommen sind. Sie hat ihm den moralischen Kompass ins Bewusstsein zurückgerufen, den sein Vater ihm einst mit auf den Weg gegeben hat, und ihn nach einer langen Phase der Deregulierung die Bedeutung der staatlich gesetzten Rahmenordnung neu entdecken lassen. Der Schweizer erkannte zunehmend, dass das Ordnungssystem der Finanzmärkte erhebliche Mängel aufwies, die in manchen Bereichen seiner Branche eine Kultur der Verantwortungslosigkeit und ruinösen Wettbewerb nach sich gezogen hatten. Er sah die Notwendigkeit, diese Mängel zu beseitigen, und darin zugleich die Chance, sein eigenes berufliches Handeln wieder in Einklang mit der väterlichen Maßgabe zu bringen.
Im März 2009 , wenige Monate nach dem Höhepunkt der Finanzkrise, hält der Deutsche-Bank-Chef in der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See einen Vortrag. Sein Thema: »Profit und Moral – ein Zielkonflikt?« Seine Antwort: »Profit und Moral können, sie müssen aber kein Gegensatz sein. Damit sie es nicht werden, bedarf es vor allem eines Ordnungsrahmens, der unmoralisches Verhalten, wenn schon nicht ganz verhindern kann, so doch wenigstens entmutigt und moralisches Verhalten belohnt.« Ein solcher Ordnungsrahmen müsse immer wieder neu gefestigt werden. »Das ist die moralische Verpflichtung, vor der wir nach den Versäumnissen der vergangenen Jahre jetzt alle stehen.«
Die Welt hat seit der Finanzkrise einige, wenngleich lange noch nicht ausreichende Fortschritte in dieser Hinsicht gemacht. Josef Ackermann hat daran tatkräftig mitgewirkt.
Macht das seine früheren Fehler wieder wett? Nein, an seiner Mitverantwortung für die Finanzkrise ändert das nichts. Sünden lassen sich auch durch tätige Reue nicht ungeschehen machen. Aber sie lassen sich leichter vergeben.
»Die meisten Menschen bewohnen nur das Untergeschoss ihrer Seelen«, so der kolumbianische Philosoph und Schriftsteller Nicolás Gómez Dávila (»Neue Scholien zu einem inbegriffenen Text«). Die Seelen nähmen erst unter dem »Druck der Geschichte« Gestalt an.
Der Druck der Weltfinanz- und anschließenden europäischen Staatsschuldenkrise hat die Persönlichkeit von Josef Ackermann erst voll zur Entfaltung gebracht. Das Schicksal hat es gut mit ihm gemeint.
Nachwort
Bilanz eines Seitenwechsels
Als ich am
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