Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Sonntag vermag sich eine Welt ohne Ackermann »noch kaum vorzustellen. Er war der Mr.Wirtschaft. Nie langweilig, stets für eine Schlagzeile gut.« Ackermann habe sich »von den gefährlichen Machenschaften im Investmentbanking distanziert«, lobt der Spiegel . Und selbst die in der Nachfolgefrage so Ackermann-kritische Welt am Sonntag findet: »Ackermann war der richtige Vorstandschef in einem denkbar schwierigen Jahrzehnt.«
Am Abend der Hauptversammlung, als alles vorbei ist, gibt der Vorstandsvorsitzende wie immer bei diesem Anlass Auszubildenden der Bank und Aktionären noch eine Autogramm-Stunde. Diesmal will die Schlange der Wartenden fast kein Ende nehmen. Die Festhalle ist längst leer und teilweise abgedunkelt, die Handwerker sind schon dabei, die Aufbauten zu demontieren, als Josef Ackermann schließlich zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Seitenraum stoßen kann, die die Veranstaltung vorbereitet und begleitet haben, um mit ihnen wie üblich ein Bier zu trinken. Alle sind froh darüber, wie der Tag gelaufen ist, die Anspannung der vergangenen Wochen ist abgefallen.
Spät am Abend gehen wir in einem Steakhaus in der Nähe von Ackermanns Wohnung im Westend noch etwas essen. In bester Stimmung blickt der Schweizer bei einem Glas Rotwein zurück: Haben sich all die Mühen gelohnt? Die 80 - bis 100 -Stunden-Arbeitswochen? Das Leben aus dem Koffer in Jets und Hotels? Der nahezu vollständige Verzicht auf Privatleben? Der Raubbau an der Gesundheit? War es die vielen Anfeindungen wert?
Alles keine Frage! »Es war eine tolle Zeit«, sagt er. Die letzten, »politischen Jahre« seien »die wichtigsten« in seinem gesamten Berufsleben gewesen. In diesen Jahren habe er am meisten erreicht: für die Bank, die Gesellschaft und auch für sich. Im Nachhinein sei er froh, dass aus seinem 2009 geplanten Rückzug nichts wurde. Josef Ackermann weiß: Ein Platz nicht nur in der Geschichte der Deutschen Bank und der Finanzbranche, sondern auch in der Wirtschafts- und Finanzgeschichte dieses Landes und Europas ist ihm sicher.
Was wird im kollektiven Gedächtnis der Deutschen von dem Schweizer einmal bleiben?
Ist es das Victory-Zeichen? Die 25 -Prozent-Rendite? Dass er der Finanzkrise durch seinen Ehrgeiz und sein Erfolgsstreben den Boden mitbereitet hat? Die Verfehlungen von Mitarbeitern seines Hauses in seiner Ära?
Oder dass er Deutschlands größtes Geldhaus zu einem globalen Spieler geformt, es sicher durch die größte Finanzkrise seit Menschengedenken gebracht und dann unter anderem durch den Kauf der Postbank weniger abhängig vom Investmentbanking gemacht hat? Dass er sich geschämt hätte, Steuergeld in Anspruch nehmen zu müssen? Sein Beitrag zur Rettung von IKB und Hypo Real Estate und damit zur Rettung des Finanzsystems vor dem Kollaps, zur Reform seiner Branche, der Schuldenschnitt für Griechenland und sein Engagement für Europa? Die Reue, die er für die Exzesse seiner Branche gezeigt hat, und die Bereitschaft, am Ende einer langen, erfolgreichen Karriere noch einmal umzudenken und umzusteuern?
Bleibt vor allem der Banker oder der Staatsmann, der Sünder oder der reuige Büßer? Saulus oder Paulus?
Es wird wohl ein Sowohl als auch sein. Der Staatsmann ist nicht ohne den Banker denkbar, der Büßer nicht ohne den Sünder, Paulus setzt Saulus voraus.
Unter dem Schweizer habe die Deutsche Bank zunächst »bei riskanten Investitionen mitgemischt«, sich aber »später wieder mehr auf das Kundengeschäft« besonnen, fasst die ARD in den Tagesthemen die Ära Ackermann am Abend seines letzten Arbeitstages kurz zusammen. »Ackermann steht sowohl für die Gier der frühen ›Nuller-Jahre‹ wie auch für die neue Verantwortungsethik«, urteilt die Süddeutsche .
Der Journalist und Buchautor Andrew Ross Sorkin hat in seinem Bestseller über die Finanzkrise (»Too Big To Fail«) deren Ursprung wie folgt charakterisiert: Sie sei »letztendlich ein menschliches Drama«, eine »Geschichte über das Versagen von Menschen, die sich selbst für zu groß hielten, um zu versagen«.
Für Josef Ackermann gilt dies nicht. Sein Ego und seine Eitelkeit sind gewiss nicht klein, aber als jemanden, der sich für unfehlbar hält, habe ich ihn nie wahrgenommen. Davor haben den Schweizer schon seine Herkunft und Familie, aber dann auch die tiefgreifende Erschütterung durch den Mannesmann-Prozess bewahrt.
Die Krise an »Gier und Hybris« festzumachen, sei ohnedies »zu simpel«, schreiben die Verfasser des Berichts
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