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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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leicht.
    Es wäre so einfach gewesen, seinen Qualen ein Ende zu bereiten. Er hatte Andi zwar das Leben zurückgeschenkt, aber ihre jugendliche Lebensfreude hatte er ihr für immer genommen. Wie alle Menschen konnte er nur begrenzt Gutes tun, aber unbegrenzt Böses.
    Er hatte sein moralisches Konto überzogen.
    Und dennoch …
    Bankrott war er deswegen noch lange nicht. Die Worte »vorübergehend zahlungsunfähig« kamen ihm in den Sinn, und er lächelte ironisch. Ihm blieben noch ein paar gute Jahre, und wenn er sie geschickt nutzte, konnte er zumindest einen Teil seiner Schuld abbezahlen. Aber er würde Andi nie zurückgeben können, was er ihr genommen hatte.
    Jetzt Selbstmord zu begehen war vielleicht die größte Verlockung, mit der das Leben ihn je konfrontiert hatte. Aber diese Lösung war aus den falschen Gründen verlockend und wäre wie der Kunstgriff gewesen, dessen sich betrügerische Großunternehmen manchmal bedienen: Insolvenz anmelden, um sich vor Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern, Gläubigern und Aktionären zu drücken.
    Er wusste, dass es seine Pflicht war, der Gesellschaft zurückzugeben, was er ihr gestohlen hatte. Wenn er seine Schuld gegenüber Andi schon nicht wiedergutmachen konnte, dann wollte er wenigstens anderen Menschen helfen – zum Beispiel potenziellen zukünftigen Opfern, bevor es zu spät war. Er hatte viele Jahre lang geglaubt, dass er seine Schulden bereits abgeleistet hatte, weil er inzwischen für die »amerikanischen Werte« eintrat. Aber allein durch Achtung dieser unklar definierten Werte hatte er weder für seine Sünden gebüßt, noch sich von der Schuld gereinigt, die er bis heute mit sich herumschleppte. Sie führten genauso wenig zur Perfektion wie alle anderen politischen oder religiösen Systeme, mit denen er geliebäugelt hatte und die ihn durch und durch desillusioniert zurückgelassen hatten.
    Der amerikanische Wertekanon war nichts als ein bequemes Pauschalangebot, das er kritiklos akzeptiert hatte, um wieder in den Schoß der Gesellschaft aufgenommen zu werden.
    Irgendein Dichter hatte einmal geschrieben, dass der Mensch nichts anderes tun kann, als immer weiter nach Perfektion zu streben, selbst wenn er sie nie erreichen wird. Und von einem anderen Dichter stammte der Spruch, dass man nicht einmal mehr träumen kann, wenn man tot ist.
    Aber es war Gene gewesen, die den Nagel auf den Kopf getroffen hatte: »Man ist es sich selbst schuldig weiterzuleben.«
    Sich selbstgegenüber, wenn man Opfer ist.
    Und anderengegenüber, wenn man Täter ist.
    Er war beides.
    Langsam kehrte er dem Meer den Rücken und ging auf die funkelnden Lichter der Stadt zu.

Dank
    Ein großes Dankeschön gebührt Megory Anderson für ihre fundierten Kenntnisse über San Francisco sowie Shelanda Adams, die mir ihr Wissen über Oakland zur Verfügung gestellt hat.
    An einigen Stellen bin ich wie so viele andere Romanschriftsteller nicht umhingekommen, mir gewisse künstlerische Freiheiten zu erlauben. So haben die San Francisco Giants beispielsweise am Abend des 2. September 2009 nichtzu Hause gegen die L.A. Dodgers gespielt, sondern auswärtsgegen die Philadelphia Phillies. Etwa drei Wochen früher spielten die Giants tatsächlich zu Hause gegen die Dodgers, allerdings handelte es sich, zumindest am letzten Spieltag, um ein Nachmittagsspiel, was nicht mit meinem komplexen Handlungsaufbau in Einklang zu bringen gewesen wäre. Deshalb habe ich die Spiele umarrangiert und den Anforderungen der Handlung angepasst.

David Kessler
    Späte Schuld

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