Späte Sühne - Island-Krimi
bemühen.«
Birkir holte das Diktafon aus der Tasche, schaltete es ein und legte es auf Fabíans Nachttisch.
»Erzähl mir, was zwischen dir und Anton im Büro des Botschafters vorgefallen ist«, bat er, nachdem er Ort und Zeit und ihre beiden Namen auf Band gesprochen hatte.
Fabían legte den Joint in einem Aschenbecher ab. »Ich werde versuchen, das zu rekapitulieren«, sagte er. »Ich habe mir zwar die größte Mühe gegeben, diesen Abend aus meiner Erinnerung auszulöschen, aber ohne Erfolg. Er steht mir immer noch klar vor Augen.«
Fabían griff nach einem Papiertaschentuch auf dem Nachttisch und hielt es sich vor den Mund, während er ein paar Mal hustete. Dann wischte er sich Blut aus dem Mundwinkel und warf das Tuch in einen Abfallkorb. Als er wieder zu sprechen begann, klang seine Stimme noch schwächer.
»Spät in der Nacht ging ich in der Botschaft zur Toilette, um Wasser zu lassen und meinen Stoma-Beutel zu leeren. Die Toilette im ersten Stock war besetzt, deswegen musste ich nach oben. Da ich mir nicht zutraute, zu Fuß die Treppe hinaufzugehen, nahm ich den Aufzug. Und da ich schon einmal im Aufzug war, konnte ich genauso gut in den dritten Stock fahren, wo die Toilette wahrscheinlich frei sein würde. Aber das war sie nicht, denn dort war Anton. Die Tür stand halb offen, und er wusch sich die Hände. Als sei alles in schönster Ordnung. Und da stand ich mit meinem Stoma-Beutel und dem Krebs, der mich von innen auffrisst, und all das war die Schuld dieses Mannes. Ich fragte ihn, ob er mich wiedererkennen würde.«
Fabían verstummte.
»Tat er das?«, fragte Birkir nach geraumer Zeit.
»Ja.«
»Hat er dich um Verzeihung gebeten?«
»Nein. Ich bin auch gar nicht auf das eingegangen, was er mir angetan hat. Mir war nicht danach. Er hingegen sah sich bemüßigt, sich vor mir damit zu brüsten, dass die Kinder an dem, was er mit ihnen macht, Genuss und Gefallen finden. Es war unerträglich für mich. Ich sah ängstliche kleine Jungen zu diesem widerwärtigen Fettwanst hochstarren, der nicht einmal ihre Sprache sprach und nicht ihr Flehen hörte, ihnen nichts zu tun. Zum ersten Mal in meinem Leben kam der Wunsch in mir auf, einem anderen Menschen etwas zuleide zu tun. Ich wusste von dem Messer in Helgis Leuchter, denn ich war dabei gewesen, als sie es hineinsteckten und den Boden mit Gips verschlossen. Ich wusste auch, in welchem Leuchter das Messer war, sie sehen sich zwar ähnlich, aber es gibt doch gewisse Unterschiede. Ich folgte Anton ins Büro des Botschafters, wo er die Kerzen anzündete, weshalb, weiß ich nicht Dabei redete er ununterbrochen über seine Güte und seine Menschenliebe, es war unerträglich. Ich hatte einige Münzen in der Tasche, die ich auf dem Tisch aufeinanderstapelte. Dann löschte ich die Kerze und wickelte mein Taschentuch um den Leuchter, bevor ich ihn hochhob.«
Fabían streckte seine Hand nach einer Flasche Wasser aus, um einen Schluck zu trinken, stellte sie aber mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. »Ich kann nichts bei mir behalten«, sagte er. »Von Helgi wussten wir, dass man kräftig zustoßen müsste, um den Boden herauszubrechen. Ich nahm alle meine Kräfte zusammen und schlug den Leuchter mit dem Boden auf die aufgeschichteten Münzen. Anton saß telefonierend am Schreibtisch und sah bei dem Geräusch nicht einmal auf. Ich holte das Messer heraus und versteckte es unter dem Arm. Ich ging zunächst in Richtung Tür, machte dann aber kehrt und näherte mich Anton. Er telefonierte immer noch und sah dabei zum Fenster hinaus. Erst als ich direkt neben ihm stand, blickte er hoch und sah mich verwundert an. Ich hielt das Messer mit beiden Händen, stieß es ihm mitten in den Bauch und zog es nach unten. Ich ließ los, als etwas Warmes über meine Hände strömte. Anton schrie und versuchte aufzustehen. Er sackte zusammen, als ich ihn wieder auf den Stuhl drückte. Ich dachte nur daran, dass dieser Mann nie wieder Kinder verletzen würde, und die Erleichterung, die ich empfand, als mir das klar wurde, kann ich nicht beschreiben. Ich verließ das Zimmer und ging zur Toilette, wo ich einige Zeit brauchte, um mich zu säubern und den Stoma-Beutel zu leeren. Außerdem versuchte ich, das Waschbecken zu reinigen, denn ich wollte keine Spuren hinterlassen. Den Hemdsärmel wusch ich aus, das Jackett faltete ich zusammen und legte es mir über den Arm. Auf einmal war mir eiskalt. Ich ging nach unten und habe Helgi anvertraut, was ich getan hatte. Er nahm daraufhin alles
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