Späte Sühne - Island-Krimi
eine Alternative?«, fragte er.
»Ich habe da gewisse Beziehungen zu dieser Kanzlei, von denen ich aber nur ungern Gebrauch mache. Wenn du dich einverstanden erklärst, mit nach Berlin zu fliegen, kann ich versuchen, die Sache mit ihnen zu bereinigen.«
»Du solltest dir dieses Angebot durch den Kopf gehen lassen, dabei kommst du billig davon«, sagte Birkir zu Gunnar.
Gunnar dachte lange nach, bevor er sich zu einer Antwort aufraffte. »Na schön, ich komme mit. Aber nur dieses eine Mal.«
»Dann geh und lass dir einen Pass ausstellen«, sagte Magnús und griff zum Telefon. »Ich gebe dem Abteilungsleiter Bescheid, dass du ihn aus dienstlichen Gründen sofort brauchst.«
Dienstag, 13. Oktober
05:30
Es war stockfinster und regnete in Strömen, und der Wind wehte mit Stärke fünf aus dem Osten. Der drei Tage alte Schnee schmolz rasch und spritzte unter den Rädern der wenigen Autos hoch, die so spät nachts oder so früh morgens unterwegs waren, je nachdem, aus welcher Perspektive man das betrachtete. Der Winter hatte schon am ersten Oktober mit Frost und Schneefällen im ganzen Land Einzug gehalten, das Tief aus dem Südwesten, das wärmere Luftmassen aus dem Süden mit sich führte, befand sich zwischenzeitlich westlich von Island. Deshalb lagen die Temperaturen an diesem Morgen über dem Gefrierpunkt, aber von langer Dauer würde das laut Wettervorhersage nicht sein, das Tief sollte nach Osten abziehen, anschließend würde es wieder zu einem Kälteeinbruch mit eisigem Nordwind und Schnee kommen.
Birkir, Gunnar und Anna vom Erkennungsdienst trafen sich am Busbahnhof. Das war am Abend vorher so vereinbart worden, denn die Kriminalpolizei musste angesichts der Krise sparen. Geld für ein Taxi war nicht mehr drin, der Transferbus musste genügen.
»Morgen«, war das Einzige, was sie sich zu dieser frühen Stunde zu sagen hatten. Alle hatten zu wenig geschlafen, und die Kälte steckte ihnen in den Gliedern. Birkir kaufte drei Busfahrkarten und ließ sich eine Quittung ausstellen.
Unterdessen marschierte Gunnar in die Cafeteria und besorgte sich belegte Brötchen und Kaffee.
Anna ging nach draußen, um zu rauchen. Es würde ein langer Tag für sie werden. Normalerweise rauchte sie drei Schachteln pro Tag, aber jetzt musste sie sowohl die einstündige rauchfreie Busfahrt nach Keflavík als auch anschließend den dreistündigen Flug nach Berlin durchstehen. Das Rauchen hatte ihr sehr zugesetzt, sie sah fast wie siebzig aus, obwohl sie laut Pass erst Mitte fünfzig war.
»Und was hat Magnús gegen dich in der Hand gehabt?«, fragte Gunnar, als Anna wieder hereinkam. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand freiwillig auf so eine Reise ging.
»Drei Abmahnungen wegen Rauchens in öffentlichen Gebäuden«, antwortete sie hustend. Ihre Stimme war heiser und dunkel. »Er versprach, sie unter den Tisch fallen zu lassen, wenn ich mitfahren würde. Und was war mit dir?«
»Ein paar rüde Telefonate mit Juristen.«
»Rüde Telefonate?«
»Ja, nein, vielleicht nicht direkt. Es ging mehr um Anweisungen, wie sie in einer bestimmten Angelegenheit vorgehen sollten.«
»Ist das verboten?«
»Ich glaubte nicht, aber heutzutage ist wohl alles verboten, was nicht mit Brief und Siegel erlaubt wurde«, sagte Gunnar achselzuckend.
Anna nickte zustimmend und steckte sich ein Nikotinkaugummi in den Mund.
»Wie hältst du das denn auf dem Flug durch?«, fragte Gunnar, der selber lange geraucht hatte und die Sucht kannte.
»Mit einer Schlaftablette und Kaugummi«, antwortete Anna.
Birkir winkte ihnen zu, dass sie zum Ausgang kommen sollten.
»Ich glaube, ich habe vergessen, eine zweite Hose mitzunehmen«, sagte Gunnar und tätschelte die alte Sporttasche, die sein gesamtes Gepäck enthielt.
»Dann kaufst du dir einfach eine in Berlin, wenn du eine brauchst«, sagte Birkir. »Ich helf dir gern dabei, eine auszusuchen.«
Er selber war untadelig gekleidet und trug einen perfekt gebügelten grauen Anzug. Sein schwarzer Koffer hatte Rollen und sah ziemlich neu aus. In der Schultertasche befand sich sein Laptop. Anna hatte zwei Gepäckstücke dabei, eine kleine Reisetasche und einen stabilen Koffer mit ihrer technischen Ausrüstung.
»Ich habe kein Geld«, sagte Gunnar nach kurzem Nachdenken.
»Ich leih dir was, wenn du eine Hose brauchst«, sagte Birkir. Er wusste, dass Gunnar seine Kreditkarte zerschnippelt hatte und nur Bargeld benutzte. Wenn er denn welches besaß.
Sie sahen zu, wie ihre Sachen unten im
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