Spaghetti in flagranti
ausziehbare Esstisch im Wohnzimmer nur an Feiertagen und wenn Besuch da war zum Einsatz kam. In der geräumigen Küche mit dem offenen Kamin versammelte sich die komplette Familie zweimal am Tag zum Essen, und dann wurde geredet, gestritten, gelacht und geweint und manchmal sogar alles zusammen. In der vom Essbereich getrennten Sofaecke im Wohnzimmer dagegen saßen wir höchst selten und schon gar nicht alle gemeinsam.
Zum einen waren sich meine Eltern nie über das Fernsehprogramm einig, über das babbo als Familienoberhaupt ein alleiniges Bestimmungsrecht besaß – auch wenn es ihm nie jemand erteilt hatte. Mamma wich dennoch meist in die Küche aus, um ihre geliebten Telenovelas in Ruhe und ohne unqualifizierte männliche Kommentare anschauen zu können. Zum anderen konnte mein Vater es nicht ausstehen, wenn wir redeten, während er eine dieser seltsamen Dokumentationen auf Discovery Channel verfolgte, die niemand außer ihm spannend fand. Dass die Quote für ihn denkbar schlecht stand, interessierte ihn nicht, da war er ganz Pascha und unterdrückte seine fünf Frauen so gut er konnte. Wobei man nonna im Grunde nicht mitzählen durfte. Die zog sich meist in ihr eigenes kleines Reich unterm Dach zurück oder machte mit ihren Freundinnen einen abendlichen Strandspaziergang, bei dem sie stets in derselben Bar auf einen Limoncello einzukehren pflegten.
Als ich die Tür zur Küche öffnete, roch es verführerisch, wie immer, wenn meine geliebte Großmutter kochte.
»Na, meine Kleine«, sagte sie und briet weiter Zucchiniblüten für die frittata in einem üppigen Schuss Olivenöl an. »Was war denn da vorhin los? Hast du mit deinen Schwestern gestritten?«
»Hör mir auf mit den beiden Monstern«, sagte ich nur und ließ mich auf einen der dunklen Holzstühle vor dem runden Tisch fallen, der schon mal bessere Tage gesehen hatte. Dafür zeugten aber all die Schrammen, Wasserflecken und Kulispuren davon, dass sich hier ein Großteil unseres bewegten Familienlebens abspielte. »Wenn die mir heute noch mal über den Weg laufen, ramme ich sie ungespitzt in den Boden.« Ich machte eine eindeutige Geste, um an meiner Absicht ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen.
Nonna , wie immer die Güte selbst, versuchte zu vermitteln. »Komm schon, sie sind fünfzehn. In dem Alter warst du auch nicht einfach. Außerdem sind sie deine Schwestern.«
»Niemals!« rief ich. »Die sind bestimmt in der Klinik vertauscht worden. Solche gemeinen, hässlichen Kröten können nicht mit mir verwandt sein. Mamma hat sie sich garantiert aufschwatzen lassen, weil niemand sie haben wollte.«
Meine Großmutter lachte nur. »Ging es mal wieder um Otto?«
»Woher weißt du das?«
Das Grinsen wurde breiter, als sie sich wieder den Zucchiniblüten zuwandte. Meine nonna wusste ganz genau: Je weniger sie in mich drang, desto mehr erzählte ich ihr. Wenn man mich dagegen unter Druck setzte und ich das Gefühl bekam, jemand wollte mich ausfragen, wie es meine Eltern immer taten, blieb ich stumm wie ein Fisch. Mein Vater platzte vor Neugier, wenn es um meine Zeit in München ging, doch ihm gegenüber ließ ich so gut wie nichts raus. Nur zu gern hätte er genauer gewusst, wie das mit Signor Colluti gelaufen war, aber von mir erfuhr er nichts. Mamma , die mich in München besucht und mir geholfen hatte, mich gegen den alten, gemeinen Kerl zu wehren, war so nett, in mein Schweigen einzustimmen.
Das rechnete ich ihr mindestens so hoch an wie die Tatsache, dass sie den vermeintlich seriösen älteren Herrn mit ihrer resoluten Art in seine Schranken gewiesen hatte. Der alte Widerling hatte versucht, mich zu erpressen, und ich hatte mir alleine nicht mehr zu helfen gewusst. Dabei hatte mein überfürsorglicher babbo ihn zuvor höchstselbst auf Herz und Nieren überprüft und verfügt, dass ich nur nach Deutschland dürfe, wenn ich bei dieser Person seines Vertrauens zur Untermiete einzog. So viel zur Menschenkenntnis meines allwissenden Vaters.
Meiner nonna dagegen hatte ich alles erzählt. Von meinem Rausch nach dem Oktoberfestbesuch über die Startschwierigkeiten an der Uni bis hin zu dem Ärger mit Friedrich, meinem überkorrekten, spießigen Mitbewohner. Selbst das peinliche Erlebnis mit Ben, dem beim Küssen der Autoschlüssel in den Starnberger See gefallen war, hatte ich nicht ausgelassen. An unfreiwilliger Komik waren die Deutschen eben nicht zu überbieten. Einem Italiener wäre so etwas garantiert nicht passiert. Falls doch, was so gut wie
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