Spaghetti in flagranti
hatten uns noch nicht mal richtig geküsst, von dem leicht verunglückten, proseccoseligen Bruderschaftskuss an Silvester mal abgesehen. In Wahrheit stand es in den Sternen, ob ich ihn jemals wiedersehen würde.
Dabei hatte es so gut aufgehört, nachdem wir zugegebenermaßen mehrere Anläufe gebraucht hatten, bis überhaupt etwas in Gang gekommen war. Otto war eben eher zurückhaltend, und ich hatte am Anfang einfach Tomaten auf den Augen und musste erst ein paar Frösche küssen, bevor ich erkannte, wer der Richtige für mich war. Doch der Moment der Erkenntnis kam reichlich spät, und so war mir nichts geblieben außer einem völlig zerfledderten Zettel mit einer romantischen Botschaft von Otto, die er mir zusammen mit einer Schachtel Baci perugina mit auf die Reise in meine Heimat gegeben hatte. Ich konnte die Zeilen inzwischen auswendig, so oft hatte ich sie gelesen. »Ich muss dich wiedersehen«, stand darauf – bisher leider nichts als ein leeres Versprechen.
Im Juli war ich aus München abgereist, und inzwischen hatten wir Ende Januar, ohne dass Otto sich hier hatte blicken lassen. Seine Beteuerungen, die bayerischen Landesgrenzen todesmutig zu überschreiten und sich über die Alpen zu wagen, waren immer seltener geworden, genauso wie seine E-Mails. Anfangs hatten wir uns fast täglich geschrieben – na ja, ich ihm jedenfalls, und manchmal hatte er auch geantwortet, immer sehr nett übrigens –, doch seit zwei Wochen, dreizehn Stunden und exakt sechsundvierzig Minuten herrschte totale Funkstille. Telefoniert hatten wir übrigens so gut wie nie, da Otto – typisch Mann! – nicht gerne am Telefon redete, etwas, das mir absolut unverständlich war.
Ursprünglich hatte Otto vergangenen August zu meinem Geburtstag nach Riccione kommen wollen, doch er hatte kurzfristig abgesagt und mich vertröstet. Immer wieder. Erst konnte er wegen einer wichtigen Prüfung an der Uni nicht weg, dann war es die super Chance auf einen tollen Job, den er sofort antreten musste. Und irgendwann war seine Oma schwer krank geworden.
Meine beste Freundin Valeria hatte mich ganz lieb getröstet und gemeint, ich solle mir diesen bayerischen Quadratschädel endlich aus dem Kopf schlagen. Er halte mich doch eh bloß zum Narren, versuchte sie mir einzureden. Ich dagegen glaubte ihm. Bis heute.
Eigentlich hätten meine Hoffnungen mit jedem Monat, der verging, schwinden müssen, stattdessen hatte ich mich zunehmend in die nicht existierende Romanze hineingesteigert und mir immer unrealistischere Szenen ausgemalt, in denen Otto und ich die Hauptrollen spielten. Der Mangel an tatsächlicher Handlung hatte mich keineswegs daran gehindert, mich in den kitschigsten Träumereien zu ergehen. Frauen – und ich ganz besonders – haben nun mal eine ausgeprägte, sehr lebhafte Phantasie, vor allem wenn es um die Ausschmückung potentieller romantischer Erlebnisse geht, die mit der Realität in etwa so viel zu tun haben wie das Leben eines Internatsschülers mit den Abenteuern von Harry Potter.
Das Läuten meines telefonino riss mich aus meinen Gedanken. Es war Valeria, das erkannte ich am Klingelton. Ich unterbrach das Intro von »Volare«, das ich seit meinem Besuch auf dem Münchner Oktoberfest unter ihrer Nummer gespeichert hatte, und ging ran.
» Ciao, bella «, ertönte ihre ausgelassene Stimme. »Alles klar? Wir wollen heute Abend ins Miramis, mit der ganzen Clique. Bist du dabei?« Sie klang aufgekratzt, war offensichtlich in Partylaune.
»Ach, ich weiß nicht.« Ich zögerte. »So richtig Lust habe ich nicht.«
»Mensch, Angela, was ist bloß in dich gefahren? Seit du aus diesem München zurück bist, kann man nichts mehr mit dir anfangen. Hast du dir von den langweiligen Kartoffeln etwa die gute Laune wegzüchten lassen? Früher warst du immer ganz vorne mit dabei, wenn’s ums Feiern ging. Da ist ja mit deiner nonna mehr los als mit dir!«
»Lass mich in Ruhe«, fuhr ich sie heftiger an als gewollt, aber ihr Ton passte mir nicht. »Oder frag meine Oma, ob sie mitkommen will, wenn mit ihr so viel mehr los ist als mit mir. Ich habe jedenfalls keinen Bock auf deine Vorhaltungen. Falls ich es mir anders überlege, rufe ich dich noch mal an.« Ich atmete tief durch und fügte etwas versöhnlicher hinzu: »Trotzdem viel Spaß, und grüß die anderen. Ciao, ciao.« Damit legte ich auf, ehe sie mich noch weiter bequatschen konnte.
Vale hatte recht. Irgendetwas stimmte nicht mehr mit uns. In unserer Freundschaft war der Wurm
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