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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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wie die lateinische Wurzel besagt. Wie ich mich danach sehnte, dasselbe für sie tun zu können.
    Ich schlich mich langsam näher und sank auf die Kante ihres Bettes, wußte nicht, was ich als nächstes tun sollte. »Berührung ist alles«, pflegte sie zu sagen. »Darin findest du im Leben das meiste.« Also griff ich nach ihrer papierdünnen Hand, rieb sanft über das Handgelenk und den Arm und flüsterte: »Ich liebe dich. Joanie, kannst du mich hören? Ich bin’s. Ich bin hier, und ich liebe dich so sehr.« Nach ein paar Augenblicken hielt ich inne, hoffte auf ein Zeichen, daß sie sich meiner Anwesenheit bewußt war – ein Zwinkern, ein Nicken, ein Drücken meiner Hand würde genügen, aber nichts kam. Trotzdem |16| mußte ich, während ich auf die flackernde Kerze neben ihrem Bett schaute, bei dem Gedanken an unsere zufällige erste Begegnung unwillkürlich lächeln, und ich erkannte, daß ihre Flamme von Anfang an den Weg erleuchtet hatte.
     
    Es war an einem dunklen, unheimlichen Februarnachmittag. Die nach dem Schneesturm der letzten Woche zurückgebliebene weiße Welt hatte sich in grauen Matsch verwandelt, als der Golfstrom seinen warmen Atem über das Land blies. Selbst mein fester Muschelpfad wurde von dem Schmelzwasser weggeschwemmt. Ich hatte die ganze Woche in meinem kleinen Sommercottage festgesessen, in zu vielen leeren Stunden in Selbstmitleid geschwelgt. Mein Vater war gestorben, meine Mutter verlor den Verstand, mein Mann hatte weit von mir entfernt eine neue Stelle angetreten, meine Söhne waren erwachsen und aus dem Haus, und wo war ich? Eine Frau, die sich treiben ließ – was unverheilte Wunden bewiesen   –, ein im Stich gelassener Körper, die meisten täglichen Aufgaben anderen überlassen, und ein aus der Bahn geworfener Wille. Ich hatte mich nach Cape Cod zurückgezogen, um Antworten zu finden. Allein, in einer warmen und versöhnlichen Umgebung, würde ich alles wieder auf die Reihe bringen, davon war ich überzeugt. Aber es waren bereits Monate vergangen, und ich befand mich immer noch an einem Scheideweg. Wollte ich verheiratet bleiben oder nicht? Sollte ich weiterhin Kinderbücher schreiben oder etwas anderes machen? Was war der Sinn des Lebens? War all dieser Gewissenskampf nur eine Übung in Narzißmus? Mein einziger klarer Gedanke war, daß ich nicht einfach nur älter werden wollte... ich wollte Erfahrungen sammeln, jede Menge Erfahrungen.
    Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich, daß das Tauwetter einen wabernden Nebel erzeugt hatte, der alles bis auf die nächsten Orientierungspunkte verbarg, nicht unähnlich meinem richtungslosen Leben. Ich spitzte die Ohren, um etwas anderes |17| als das Tropfen der Eiszapfen zu hören. Durch die Stille hindurch hörte ich ein Nebelhorn. Sein stetiges Dröhnen holte mich aus meiner Trägheit und trieb mich nach draußen.
    Ich zog eine gelbe Öljacke an, stieg ins Auto, pflügte durch den Schneematsch und folgte dem Nebelhorn an die Küste, als riefe eine Mutter mich nach Hause. Sobald ich am Strand war, ging ich vorsichtig los, konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Der Klang der anschwappenden Brandung zog mich zur Wasserlinie und half mir bei der Orientierung. Plötzlich wußte ich, daß mein Ziel die Mole war, ein riesiger Steindamm, der den Hafen an diesem Ende des Strandes begrenzt.
    Nach einer Viertelstunde kletterte ich auf die gewaltigen Felsbrocken und hüpfte von einem zum anderen, in der Absicht, den ganzen Weg bis zu der unsichtbaren Spitze zu gehen. Vollkommen allein, spürte ich eine wilde Hemmungslosigkeit und merkte, daß ich die Einsamkeit meines Abenteuers sehr genoß. Doch nach ein paar Schritten fand ich mich plötzlich nur Zentimeter entfernt von dem scharfgeschnittenen Profil einer alten Frau. Sie stand hoch aufgerichtet da, ein schwarzes Cape bauschte sich hinter ihr, und blickte über die Felsen, fast als sei sie eine Galionsfigur am Bug eines Schiffes. Ich brauchte einen Augenblick, um zu entscheiden, ob sie wirklich war; dann richtete sie ihre funkelnden blauen Augen auf mich. »Hallo. Sind wir die einzigen, die sich hier einnebeln lassen?« fragte sie.
    Ich lachte über ihr Wortspiel. »So hatte ich das noch nicht gesehen. Guten Tag«, sagte ich und streckte die Hand aus. »Ich bin Joan Anderson.«
    »Ach wirklich?« erwiderte sie. »Wie seltsam. Ich heiße auch Joan!«
    Ich war immer noch verblüfft über ihre Anwesenheit und momentan sprachlos.
    »Ich bin gerade erst hergezogen«, fuhr sie fort, füllte das

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