Spaziergang im Regen
als renommiert. Daran änderten auch die Schickimicki-Restaurants und Galerien nichts, die in den vergangenen zehn Jahren aus dem Boden geschossen waren.
Shara war – wie wahrscheinlich die meisten Leute – davon ausgegangen, dass Operndiven und weltbekannte Dirigenten in reinem Luxus lebten und ihre formelle Kleidung selbst zum Frühstück trugen. Aber dann dachte sie, dass Leute sicher ähnliches auch von Schauspielerinnen annahmen, die sie nur dann außerhalb einer Rolle sahen, wenn sie in einer Talk-Show oder bei einer Filmpremiere erschienen – und das war natürlich auch vollkommen absurd. Da sie persönlich es zum Beispiel selbstverständlich fand, für sich selbst zu kochen, hätte es sie auch nicht überraschen sollen, dass Jessa Hanson es bevorzugte, in einem unauffälligen Gebäude zu wohnen, dessen einziges hervorstechendes Merkmal die raumhohen Fenster waren, die die rote Backsteinfassade dominierten.
Sie ging zögerlich auf die Empfangstheke zu, nachdem sie zweifelsohne bereits die Aufmerksamkeit des Mannes dahinter auf sich gezogen hatte, weil sie draußen mehrere Minuten lang herumgelungert hatte. Sie hatte keine Bedenken erkannt zu werden, weil sie ihrem üblichen Filmstar-Image so unähnlich sah, wie Jessas Wohnung einer Villa in Mayfair. »Guten Tag. Ich möchte bitte zu Jessa Hanson?« Sie hörte die Unsicherheit in ihrer eigenen Stimme.
Der Portier bemühte sich nicht sehr, sein Misstrauen zu verbergen, und betrachtete sie flüchtig.
Sharas dunkelgefärbte Haare waren geschnitten wie eine Zobelmütze, die weich hin und her wiegte, wenn sie sich bewegte. Die leicht getönte Armani-Sonnenbrille verbarg ihre charakteristischen grünbraunen Augen, und ihr einziges Make-up war das klare Lipgloss, das die sanfte Fülle ihrer Lippen betonte. Sie trug auch ungezwungenere Kleidung als bei öffentlichen Auftritten, eine auf den Hüften sitzende Jeans mit einem breiten, schwarzen Gürtel und Zehensandalen mit sieben Zentimeter hohen Absätzen. Sie hatte an diesem warmen Tag keine Jacke an, nur ein enganliegendes Oberteil aus dünnem, weißen Baumwollstoff, in dem ihr Körper von den Ellenbogen bis zum Schlüsselbein deutlich abgezeichnet war und dessen weiter Ausschnitt die Sicht auf die makellose Haut ihres Halses freigab und auf das goldene Kreuz, das an einer dünnen Goldkette hing, und das sie immer trug, wenn sie nicht arbeitete.
Das Oberteil schmiegte sich an ihre Brüste und ihren flachen Bauch und endete knapp oberhalb ihres Nabels, um den kleinen, silbernen Ring zu offenbaren, der die Haut darüber durchstach und im Schein der Lampen der Eingangshalle glitzerte. Über einer Schulter trug sie eine riesige Handtasche.
Shara wusste, dass sie jünger aussah als neunundzwanzig und wurde leicht rot, weil sie sich angesichts der Reaktion des Portiers nun fragte, ob Jessa Hanson weibliche Groupies hatte, die regelmäßig versuchten, unerlaubten Zutritt zu ihrer Wohnung zu bekommen.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, erläuterte der Portier nun höflich: »Guten Tag, gnädige Frau. Ich fürchte, alle Besuche müssen angekündigt werden. Nennen Sie mir bitte Ihren Namen und die Nummer von Frau Hansons Wohnung?«
»Shara Quinn und es ist Wohnung Nummer Sieben.« Shara wusste, dass sie leicht überheblich klang, aber das war nur eine Abwehrreaktion gegen die Verlegenheit, fälschlicherweise für jemanden gehalten zu werden, der anderen Leuten nachstellte.
»Oh. Aber sicher doch.« Nun schaute der stämmige Portier etwas verlegen drein, aber Shara war nicht sicher, ob es daran lag, dass er ihren Namen erkannt hatte, oder weil ihm nun seine vorherige Haltung einer von Jessas Besucherinnen gegenüber bewusst wurde. »Ich werde anrufen und Sie ankündigen.« Er nahm das Telefon, das sich in den Tiefen der Theke versteckt gehalten hatte, und sagte: »Frau Shara Quinn ist hier.« Er lauschte ein paar Sekunden der Stimme im Hörer und fügte dann hinzu: »Aber ja, sofort, Frau Hanson.« Nun die Verkörperung berufsmäßiger Diskretion wandte er sich wieder Shara zu. »Wenn Sie bitte durch die Tür zu Ihrer Rechten gehen, Frau Quinn, dann sehen Sie die Aufzüge gleich direkt vor sich. Fahren Sie bis zum Penthaus hoch, wo Frau Hanson Sie bereits erwartet.«
»Vielen Dank«, sagte Shara und ging auf die Tür zu, die sie bislang nicht bemerkt hatte. Sie hörte ein leises Klicken, als der Portier einen Schalter betätigte, um die Tür zu öffnen, und Shara erkannte, dass das Gebäude viel besser
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