Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Unbefugnisse in dem Menschen zu finden die er behaupten muß, wenn er Menschenwert haben will. Dem Künstler mußte dieser Ton mißfallen, und ein Fremder, der es merkte, suchte ihn durch Höflichkeit aus der peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn nach seinem Vaterlande fragte. »Ei was?« fiel der Lord polternd ein; »es ist ein Mensch, der kein Vaterland hat, ein Universalmensch, der überall zu Hause ist.« »Doch, doch, Mylord«, versetzte der Künstler, »ich habe ein Vaterland, dessen ich mich gar nicht schäme; und ich hoffe, mein Vaterland soll sich meiner nicht schämen:
Sono Prussiano.
« Man sprach Italienisch.
»Prussiano? Prussiano?
« sagte der Wirt;
»Ma mi pare che siete ruffiano.
« Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, den man zu Tische gebeten hatte! Der ehrliche, brave Künstler machte der Gesellschaft eine Verbeugung, würdigte den Lord keines Blicks und verließ das Zimmer und das Haus. Nach seiner Zurückkunft in sein eigenes Zimmer schrieb er in gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief:
»Mylord,
Ganz Europa weiß, daß Sie ein alter Geck sind, an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreißig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine Genugtuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern berechtigt sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen, nach dem, was er selbst wert ist; und Sie sind nichts wert. Sie haben alles, was Sie verdienen – meine Verachtung.«
Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die Schnurre, er mag an solche Auftritte gewöhnt sein. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir gebe. Das langgestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der Krummstab, der große antike Weinkrug, der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist Wahrheit. Der alte fünfundsiebzigjährige Pfaffe läßt noch kein Mädchen ruhig.
Auch seines Lebens letzten Rest
Beschäftigt noch Lucinde;
Wenn ihn die Sünde schon verläßt,
Verläßt er nicht die Sünde.
Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herumlief, und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwegen hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der gewöhnlichen Regel, wo man zu bösem Spiele gute Miene macht:
»Il s'est vengé en homme de génie.
« Die Zeichnung bekam ich, und ich trage kein Bedenken, sie Dir mitzuteilen. Für solche Delinquenten ist keine Strafe als die öffentliche Meinung; und warum soll die öffentliche Meinung nicht – öffentlich sein und öffentlich dokumentiert werden? Die Parteien sind der Maler Reinhart und Lord Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu erwarten; aber andere sollen nicht so werden wie er ist; deswegen wird es erzählt.
Mailand
Von Rom hierher ging ich halb im Wagen, halb zu Fuß; im Wagen, soweit ich mußte, zu Fuße, soweit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts in Rom auf der Straße von Florenz Kuriere geplündert, Soldaten erschossen und große Summen geraubt. Es wäre Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht geradezu ein Bettler war und sich durch das
cantabit vacuus
sichern konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz. Von Ronciglione nach Viterbo geht's am See hinauf über den Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht hinüber nach Nepi und Cività Castellana, bis fast nach Otricoli, und weiter hin in die noch beschneiten Apenninen. Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich doch nicht im Wagen bleiben und trollte meistens zu Fuße voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns eine Gesellschaft, die, nach aller Beschreibung, die ich schon in Rom von ihnen hatte, eine Karawane deutscher Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht erkundigen.
Du kannst denken, daß ich auf Thümmels Empfehlung in Montefiascone den Estest nicht vergaß. Er ist für mich der erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches Blut; zwei Flaschen trank ich den Manen unseres Landsmannes. Ich
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