Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
wird, leidet ebensowenig Zweifel. Ich hatte selbst ein Beispielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweite hatte dem Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen russischen Goldmünzen gemacht; schon der Metallwert muß beträchtlich gewesen sein. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber deswegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte danach. – »Sie sind nicht da.« – »Aber sie sollten da sein.« – »Freilich.« – »Wer hat denn die Besorgung gehabt?« Man schwieg. – »Der Kommissär muß doch bekannt sein.« – Man antwortete nicht. – »Warum untersucht man die Sache nicht?« Man zuckte die Schultern. »Aber das ist ja nichts mehr als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen befugt ist.« – »Wenn die Herren an der Spitze«, sagte man leise, »die doch notwendig davon unterrichtet sein müssen, es nicht tun und es mit Stillschweigen übergehen – wer will es wagen?« – »Wagen, wagen!« brummte ich. »So so, das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freiheit!« Meine Worte und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit, und es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der Erste, der nur so eine Äußerung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freiheit; und wo keine Freiheit ist, ist keine Gerechtigkeit; der Begriff ist eins; nur in der Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr man sucht andere zu verwirren.
In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel Inländer und Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem chinesischen Werke. Ich ließ mir den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer, dieses zu lesen, und ich nehme lieber den Homer von Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstichsammlung hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von Raphaels Psyche aus der Farnesina; aber sie gewährt kein außerordentlich großes Vergnügen, wenn man das Original noch in ganz frischem Andenken hat.
Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louvre kam, war zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen Sammlung der Abgüsse und in Florenz bei der schönen Kopie des Bandinelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sei so im Original; und das konnte ich nicht glauben, oder ich beschuldigte den alten großen Künstler eines Fehlers. Die Sache war: das linke Bein, um welches sich an der Wade mit großer Gewalt die Schlange windet, war im Abguß und in der Marmorkopie durchaus gar nicht eingedrückt. Ich weiß wohl, daß die große Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindert muß; aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und auf dem Kunstwerk ist, mußte mit ihrer ganzen Kraft der Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte die Stücke zusammengesetzt, aber eine kleine Vertiefung der Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar. Beim Abguß und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich voll gemacht, als ob sie nur durch einen seidenen Strumpf gezogen würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und Beurteilung; mir kommt es vor, als ob die so verschönerte Wade deswegen nicht schöner wäre.
Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre, zum Nero, dem Sieger, machen. Klassische Stellen hat man wohl für sich, daß Nero in dieser Gestalt existiert haben könne; es kommt nur darauf an, daß man beweise, er sei es wirklich. Es wäre schade um das schöne, hohe Ideal der Künstler, wenn seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt haben. Indessen bin ich fast in Gefahr, in der Miene und besonders um den Mund des Gottes etwas Neronisches zu finden. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige seiner Mädchen; aber dafür sind andere dabei, die hohen Wert haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf, nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichtum beschreiben, den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das
Weitere Kostenlose Bücher