Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Wunderbild sehen könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige Geschichtsstatuen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und vor allen die beiden Brutus, die man links am Fenster in ein ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im ganzen nicht der Fall ist; denn die meisten Kunstwerke, selbst der Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, daß ich lieber Geschichtsköpfe sehe als Ideale; und auch unter den Idealen finde ich mehr Porträts und Geschichte, als die Künstler vielleicht zugestehen wollen.
Die Gemäldesammlung oben ist verhältnismäßig noch reicher und kostbarer als der Antikensaal unten, aber die Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch fehlerhafter. Wenige Stücke, ausgenommen der große Vordersaal, haben ein gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bei Madonna Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter den Händen der Restauratoren; ich habe sie also nicht gesehen. Dafür war ich so glücklich, den Saal der Zeichnungen offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, daß Schnorr nicht mehr hier war! Er wäre hier in seinem eigentlichen Element gewesen. Das wichtigste darunter ist doch wohl auf alle Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner Schule, mir deucht fast so groß wie das Gemälde selbst. Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige wenige Veränderungen gemacht. Ich genoß und ließ die andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates und Diogenes und Archimedes. Im nämlichen Saale sah ich auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Daß die eine Inschrift Depas heißt, ist die höchste Wahrscheinlichkeit; aber die Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des Gegenstandes, denn man könnte aus den Zügen ebenso gut Korakas als Hepayso machen. Die Vermutung ist indessen sinnreich, wenn sie auch nicht richtig sein sollte. Vielleicht gibt irgendeine Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluß darüber.
Ich hatte gewünscht, David zu sehen, hörte aber in Paris so viel Problematisches über seinen Charakter, daß mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem kleinen Garten am Louvre, und sein Anblick lud mich nicht ein, ihm näherzukommen. Das tat mir leid, denn ich finde in dem Manne sonst vieles, was mich hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was ich von dem Manne fordere, den ich zu sehen wünschen soll. Vielleicht tut man dem strengen, etwas finsteren Künstler auch etwas zuviel; desto besser für ihn und für uns alle! Sein Sohn hatte die Höflichkeit, mich in das Atelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches Trauerstück. Man nennt es hier nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der jungen Menschen werden eben vorbeigetragen, der weibliche Teil der Familie unterliegt dem Gewicht des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers, er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dies ist, nach meiner Meinung, die ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte und kann, soviel ich weiß, nach der Geschichte nicht darauf sein. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols Entrée gezeigt werden. Ich weiß nicht, ob David es nötig hat, sich Geld zahlen zu lassen; aber die Methode macht weder ihm noch der Nation Ehre. Ich hatte nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es tut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele leid, daß die Kunst hier so sehr merkantilisch ist. Über das Stück selbst schweige ich, da ich im ganzen der Meinung der andern deutschen Beurteiler bin.
In Versailles war ich zweimal; einmal allein, um mich umzusehen, das zweitemal in Gesellschaft mit Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles unentgeltlich, und überall war zuvorkommende Geselligkeit. In Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakai für zwei Stunden einen kleinen Taler; darüber
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